Zum Fest verneigt sich der Münchener „Tatort“ mit der Folge „Mord unter Misteln“ vor Agatha Christie.
Stille Nacht, mörderische Nacht: Am Heiligen Abend des Jahres 1922 hallt ein Schrei durch „Beckford Hall“ – ein Toter liegt unter dem Tannenbaum! Nur gut, dass Detective Chief Inspector Francis Lightmyer (Udo Wachtveitl) und Detective Constable Ivor Partridge (Miroslav Nemec) auch an den Feiertagen im Dienst sind. Das Duo eilt zum Herrenhaus und überführt den Täter mit Hirn und Humor.
Moment mal, ein „Tatort“, der vor einem Jahrhundert spielt? Und die Münchener Ermittler als britische Spürnasen? Tatsächlich haben sich die Macher der Krimi - reihe für die Weihnachtsfolge, die zugleich der 90. Fall für Batic und Leitmayr ist, etwas Besonderes einfallen lassen. Los geht’s in der Gegenwart mit einem Krimidinner unter Kollegen. Doch sobald das Spiel beginnt, geht die Handlung zurück ins Jahr 1922 – und zieht diesen Zeitsprung dann filmisch durch.
Wer hat Butler Arthur vergiftet, narkotisiert und erstickt? War es die blasierte Witwe Lady Bantam (Sunnyi Melles), die ihre Katzen lebendig häutet? Das wollüstige Dienstmädchen Heather (Marie Rathscheck)? Oder der prüde Reve - rend (Joshua Seelenbinder)? Schnell wird klar: „Mord unter Misteln“ ist ein Heidenspaß für Freunde britischer Krimis – und zudem ein gelungenes Experiment!
Unser Fall ist eine historische Zeitreise“, erklärt Miroslav Nemec im Interview. „Das Besondere aus meiner Sicht ist das ‚Spiel im Spiel‘, die aufwendigen Kostüme, die sehr kunstvoll verwobene Geschichte – und dass diese, wie bei Agatha Christie üblich, sehr viele potenzielle Täter zur Lösung des Kriminalfalls anbietet.“ Udo Wachtveitl stimmt Nemec zu: „Klar ist ‚Mord unter Misteln‘ von einer bestimmten Art englischer Krimis inspiriert. Man denke nur an das zwielichtige Landhaus, die Pfeife im Mund des skeptischen Ermittlers und an gewisse Umgangsformen. Unser Jubiläumsfall ist eine Verneigung vor diesem Genre.“
Ist es denkbar, dass die Münchener im Fall eines Erfolgs künftig öfter als „Lightmyer und Partridge“ ermitteln? Nein, sagt Wacht - veitl: „Dass wir uns nach über 30 Jahren mal so einen Spaß erlauben, ist in Ordnung. Man muss aber aufpassen, dass der ‚Tatort‘ seinen Markenkern nicht verwässert.“ Was denkt der Schauspieler prinzipiell über die quotenstarke Reihe? „Wenn es gut ist, darf ein Drehbuch auch gern sozialkritisch sein. Aber das allein reicht nicht. Es gibt zwei ‚Tatort‘-Trends, die mir gewaltig auf die Nerven gehen. Einmal ist da der Hang zum Belehren, sozusagen der ‚Tatort‘ als Volkserziehung qua Bildergeschichte.“
Bei dieser Art von Krimis würden gesellschaftliche Themen „doziert“, zudem seien die Charaktere „eng schematisiert wie beim Kasperletheater“. „Andererseits“, so Wachtveitl weiter, „gibt es auch Trübsinnskitsch – schlechte Laune als Qualitätsausweis, bebildert mit dunklen Farben, denen aber die Tiefe des klassischen Film noir fehlt. Hier verwechselt der ,Tatort‘ Trübsinn mit Tiefsinn.“ Zwei Fehler, die dieser Folge nicht unterlaufen. Sie zählt zu den „Tatort“-Highlights des Jahres.
"Tatort: Mord unter Misteln", Mo, 2. Weihnachtstag, 20.15 Uhr im Ersten