„Hirschhausen: Medizin von morgen“: Gibt’s bald Organe aus dem 3-D-Drucker?

09.04.2024 um 18:15 Uhr
    Dr. Eckart von Hirschhausen erklärt in der neuen TV-Doku die Genschere. | © ARD Dr. Eckart von Hirschhausen erklärt in seiner neuen TV-Doku die Genschere. | ©ARD

    Neue Hoffnungen, neue Gefahren: Die ARD-Doku „Hirschhausen: Medizin von morgen“ gibt einen Ausblick auf die Zukunft der Medizin.

    Ein Artikel von HÖRZU Reporter Sven Sakowitz

    Die positiven Nachrichten aus der Medizin häufen sich. So wird es womöglich bald einen Impfstoff gegen Krebsarten geben, schon 2025 will zum Beispiel die Firma Moderna ihr Produkt auf den Markt bringen. Bereits in diesem Jahr wird zudem die sogenannte Genschere erstmals in der Europäischen Union eingesetzt. Mit dieser Methode greifen Ärzte direkt ins Erbgut der Patienten ein und reparieren fehlerhafte Teile der DNA. Dadurch könnte bislang unheilbaren Erbkrankheiten in Zukunft ihr Schrecken genommen werden. Vor allem der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) löst eine Revolution aus, etwa bei der Diagnose und der Entwicklung von Medikamenten. Und das sind nur einige aktuelle Beispiele.

    Klar ist: Der medizinische Bereich wird sich in den nächsten Jahrzehnten radikal verändern. Aber wie genau? Mit dieser Frage beschäftigt sich Das Erste am 9. April an dem Themenabend „Medizin von morgen“. Den Auftakt machen die ersten bei - den Folgen der neuen Staffel von „Charité“, Die Krankenhausserie spielt diesmal im Jahr 2049 und entwirft ein denkbares Szenario des dann existierenden medizinischen Entwicklungsstandes. Im Anschluss folgt eine Doku mit Dr. Eckart von Hirschhausen (Di, 9. April, 21.45 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek). Der Mediziner und Wissenschaftsjournalist stellt darin Innovationen vor, diskutiert kritisch deren Möglichkeiten und Gefahren.

    Schnelle Diagnose dank KI

    Aufschlussreich ist etwa von Hirschhausens Test eines „KI-Arztes“, der sich noch in der Entwicklung befindet. Bei diesem erscheint auf einem Computer-Monitor ein Avatar, also eine Animation, die den echten Arzt ersetzt. Der Patient schildert über das PC-Mikrofon sein Problem. „Das war wirklich seltsam“, schildert von Hirsch - hausen gegenüber HÖRZU seine Erfahrung. „Wir haben in Marburg am Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin gedreht, und von Professor Jürgen Schäfer bekam ich eine seltene Symptomkombination zum Testen der KI. Der Avatar brauchte keine Sekunde für die richtige Diagnose. Ein echter Patient läuft damit jahrelang durch die Arztpraxen, weil gerade für seltene Erkrankungen kein Mensch so viele Kombinationen im Kopf haben kann.“

    Durchweg erfreulich war diese Erfahrung für von Hirschhausen aber nicht: „Als der Avatar sagte: ,Es tut mir leid, dass Sie diese Beschwerden haben …‘, merkte ich, wie ich sauer wurde, weil die Maschine mir Gefühle vortäuschte, die sie gar nicht hat.“ Seine Einschätzung zur KI in der Diagnostik fällt denn auch differenziert aus, er betont den Faktor Mensch: „Bei einer seltenen Erkrankung, bei einer Hautveränderung und dem Verdacht auf Krebs, bei Röntgenbildern oder sogar in der Früherkennung einer Blutvergiftung aus den Labordaten ist die KI heute schon sehr gut“, sagt er. „Und Computer werden nicht müde und lernen ständig dazu.“ „Worauf ich in Zukunft aber auf gar keinen Fall verzichten will, ist eine humane Medizin“, betont von Hirschhausen. „Computer haben kein Mitgefühl, keine Sensibilität im Umgang mit schwierigen Diagnosen und Lebensentscheidungen und keinen Humor. Dafür brauchen wir engagierte Menschen in der Medizin, in der Pflege und in allen sozialen Berufen.“

    Science-Fiction? „Nein, das ist realistisch“

    In naher Zukunft fehlten bei jeder dritten Stelle im Gesundheitswesen Fachkräfte – das sei das Kernproblem. „Um es zu lösen, sind Wertschätzung, anständige Bezahlung, Vereinbarkeit mit Familie und Aufstiegschancen nötig. Also all das, was einen Computer nicht interessiert – aber Menschen.“ Computerchips im Gehirn Für Aufsehen sorgte zuletzt der umstrittene Tech-Milliardär Elon Musk mit seiner Firma Neuralink. Diese implantierte erstmals einem Menschen einen Computerchip ins Gehirn. Dadurch sollen Querschnittsgelähmte nur mit ihren Gedanken einen Computer oder ein Smartphone steuern können. Science-Fiction? „Nein, das ist realistisch“, sagt Prof. Surjo Soekadar, Deutschlands einziger Professor für Klinische Neurotechnologie, im Gespräch mit HÖRZU. „An Gehirn-ComputerSchnittstellen wird seit 50 Jahren geforscht, und das auch erfolgreich. Zum Beispiel bei gelähmten oder Schlaganfall-Patienten. Diese können sich zwar nicht mehr bewegen, aber sich trotzdem noch vorstellen, dass sie beispielsweise laufen wollen. Wenn sie das tun, ändern sich die Hirnsignale, die von Elektroden aufgezeichnet und von einem Computer ausgewertet werden.“

    Der Patient bekommt also eine Prothese oder ein Exoskelett, und wenn er „Laufen!“ denkt, setzt sich diese Maschine in Bewegung. Soekadar erforscht dabei nicht-invasive Verfahren, bei denen also – anders als bei Neuralink – die Schädeldecke nicht geöffnet werden muss. „Das Ziel ist, dass sich das Nervensystem erholt und der Patient irgendwann auf die ganze Technik verzichten kann.“ Hilfreich sei dabei auch der Einsatz von KI. „Wir stehen mit dem Einsatz zwar noch am Anfang“, sagt er. „Aber wir können die Gehirn-Computer-Schnittstellen durch KI schon jetzt wesentlich verbessern.“ Und warum wird so ein Trubel um Musks Neuralink veranstaltet? „Wenn man alle Gehirn-Computer-Schnittstellen, die bis lang implantiert wurden, zusammenzählt, kommen wir vielleicht auf 40 Patienten weltweit in den vergangenen 30 Jahren.

    Welche Nebenwirkungen gibt es?

    Elon Musk will bis zum Jahr 2030 jährlich bei mehr als 20.000 Patienten Chips implantieren. Das ist eine völlig andere Dimension, und deswegen sind jetzt viele aufgeschreckt. Wenn man das in diesem Umfang einführen möchte, stellen sich je nach Anwendung sehr viele ethische Fragen.“ Zumal es hier ja um einen kommerziellen Einsatz gehe, so Soekadar. „Was passiert mit den Daten? Welche Nebenwirkungen gibt es? Das ist alles noch nicht ausreichend erforscht, und die Firma Neuralink hält ihre Daten geheim.“ Künstliche Intelligenz, Genschere & Co. sind nur ein kleiner Teil der Medizin der Zukunft.

    Viele weitere medizinische Entwicklungen klingen für Laien heute noch abseitig, könnten aber irgendwann zum Standard gehören. An dieser Stelle seien nur kurz noch zwei weitere Beispiele genannt. Da wären etwa die Nano-Roboter, die man sich wie winzig kleine U-Boote vorstellen kann, die durch das Blut in den Adern gesteuert werden. Sie bringen Medikamente direkt zu erkrankten Zellen oder Erregern, ohne dabei gesundes Gewebe zu schädigen. Diese kleinen, leistungsfähigen Helfer könnten bei Entzündungen und Thrombosen helfen. Erkrankungen also, bei denen die Medizin oft nur schlecht zur betroffenen Stelle gelangt.

    Mit Bioprinting ein menschliches Herz erzeugen

    Mindestens genauso faszinierend ist die Forschung zum Bioprinting. Mit dieser Technologie soll es irgendwann möglich sein, komplette Organe mit einem 3-DDrucker zu erschaffen und zu transplantieren. Organspenden wären dann überflüssig, lange Wartezeiten auf passende Spenderorgane fielen weg. Die Forschung steht bei diesem Thema zwar noch vor vielen Herausforderungen, aber der Anfang ist gemacht. So will ein Team der Universität Stanford innerhalb der nächsten fünf Jahre mithilfe von Bioprinting ein menschliches Herz erzeugen und es in ein Schwein transplantieren.

    Eckart von Hirschhausen ist es wichtig, den Blick auch auf eine ganz andere Herausforderung der Medizin zu richten. „Das größte Gesundheitsproblem ist die Klimakrise“, sagt er. „Denn sie bedeutet eine enorme Belastung für alle Menschen, die schon heute eine Vorerkrankung haben. Alle, die mit Herz-Kreislauf, mit den Nieren oder Übergewicht, Hochdruck und Zucker zu tun haben, sind bei Hitze maximal gefährdet.“ Da helfe keine KI und keine Gentechnik: „Bei dauerhaft mehr als 42  Grad Körperkerntemperatur sterben alle Menschen. Daran kann man sich nicht ,anpassen‘, das ist ein Naturgesetz“, so von Hirschhausen. „Wir müssen endlich begreifen, dass die persönliche mit der planetaren Gesundheit ganz eng verknüpft ist. Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde.“ 

    „Hirschhausen: Medizin von morgen“:  Di, 9. April, 21.45 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek