Polit-Talks in der Krise: Schafft Caren Miosga die Wende?

21.01.2024 um 17:15 Uhr
    Caren Miosga wird ihre neue Talkshow vor Publikum im Studio moderieren. | © NDR
    Caren Miosga wird ihre neue Talkshow vor Publikum im Studio moderieren. | ©NDR

    Mitten in der Krise des Polit-Talks tritt Caren Miosga in der ARD die Nachfolge von Anne Will an. Kann sie die Wende schaffen?

    Ein Artikel von HÖRZU-Reporter Thomas Kunze

    Der Abschied nach 16 Jahren war nüchtern: Weder wirkte Anne Will, die auf eigenen Wunsch ging, besonders gerührt, noch interessierte sich das TV-Publikum übermäßig für ihre letzte Sendung im Dezember. Mit 3,35 Millionen Zuschauern war die Einschaltquote eher mau. Im Jahresschnitt sank sie sogar erstmals unter drei Millionen. Als Nachfolgerin von Will soll nun Ex-„Tagesthemen“-Moderatorin Caren Miosga frischen Wind in den zuletzt routinierten Sonntagabend-Talk im Ersten bringen (So, 19. Januar, 21.45 Uhr im Ersten).

    In ihrer Premierensendung diskutiert Miosga (54) mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, ZEIT-Journalistin Anne Hähnig und Soziologie-Professor Armin Nassehi über die CDU. Das Thema der ersten Sendung lautet entsprechend: "Merz richtet die CDU neu aus - wird Deutschlands Zukunft konservativ?"

    Caren Miosga und Louis Klamroth als Hoffnungsträger

    Die Quoten aller Talkshows fallen seit drei Jahren deutlich (siehe Grafik unten). Und im vergangenen Jahr forderten Programmdirektorin Christine Strobl und die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD (GVK) Reformen. Kritik der Gremien: ein Mangel an Vielfalt Die Kritik der GVK hat es in sich: Die Talkshows von „Anne Will“, „Maischberger“ und „Hart aber fair“ seien inhaltlich zu ähnlich, immer wieder seien es die gleichen Gäste und Themen, es würden die gleichen Zielgruppen angesprochen. „Es genügt nicht, sich nur durch unterschiedliche Moderatoren-Persönlichkeiten zu unterscheiden“, so das Statement des Gremiums. Gefordert wird außerdem, dass die Sendungen stärker auf die Lebenswirklichkeit der Menschen eingehen müssten.

    Strobl zielt in die gleiche Richtung: „Eine Neujustierung der politischen Gesprächssendungen ist erforderlich.“ Im Zuge einer Programmreform hat sie den digitalen Umbau mit der Stärkung der ARD-Mediathek ausgerufen: „Wir müssen auch für jüngere Menschen im Digitalen einen Ort des politischen Diskurses anbieten. Damit dies gelingt, müssen wir die unterschiedlichen Konzepte der Talks schärfen, auf Meinungsvielfalt achten, eine Themensetzung für alle Bevölkerungsgruppen anbieten, Gesprächsformen und Gästeauswahl voneinander abgrenzen.“

    Hoffnungsträger sind nun Miosga und Louis Klamroth. Der 34-Jährige ist das junge Gesicht unter den Polit-Talkern. „Wir haben da einen ganz neuen Kopf, einen ganz neuen Stil gefunden“, freute sich Strobl zu seinem Start vor einem Jahr. Aber: Seit Klamroth Nachfolger von Frank Plasberg bei „Hart aber fair“ ist, kriselt es. Er hat deutlich an Publikumszuspruch verloren, die Quoten sanken im Vergleich zum Vorgänger um mehr als eine halbe Million. Zuletzt trennte sich der Moderator von der alten Plasberg-Redaktion. Auch Co-Moderatorin Brigitte Büscher verkündete ihren Abschied. Ein Verlust, denn sie stand mit ihrem direkten Kontakt zum Publikum für die gewünschte Bürgernähe.

    Klamroth startet im Januar mit seiner Produktionsfirma Florida Factual einen Neuanfang, soll dann verstärkt jüngere Zuschauer in die Mediathek locken. Dazu wird die TV-Sendung am Montag erweitert um eine von Klamroth kommentierte und durch redaktionelle Inhalte ergänzte Version, die dienstags in der Mediathek steht. „Mit dieser Version wenden wir uns gezielt an ein jüngeres Mediathekspublikum und bieten den Zuschauer*innen zudem einen Mehrwert über die Live-Sendung hinaus“, heißt es beim WDR. Nach dem Motto „Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft“ sollen Zuschauer noch stärker eingebunden werden und Politiker mit Bürgern ins Gespräch kommen. „Wir wollen Transparenz schaffen und die Rolle der Mediathek als Ort für politische Debatten stärken“, so der WDR. „Veränderungen wird es bei der Gäste- und Themenauswahl und der Dramaturgie sowie bei der Gestaltung des Studios und dem Look der Sendung geben.“

    Einschaltquoten der Polit-Talks 2021 bis 2023

    Es geht abwärts: Nach den Corona-Jahren ließ das Interesse nach, die Quoten aller Talks sinken seit 2021 kontinuierlich. Die meisten Zuschauer verfolgen „Anne Will“ am Sonntagabend im Ersten – nach dem quotenträchtigen „Tatort“. Der Sendeplatz ist also ein wichtiger Erfolgsfaktor. Die Häufigkeit der Ausstrahlung ebenso: „Maischberger“ lief etwa bis Mai 2022 einmal pro Woche, seitdem mit verändertem Konzept zweimal. Ganz wichtig: der Moderator – bei „Hart aber fair“ bis Ende 2022 Frank Plasberg, seit 2023 Louis Klamroth. Ein besserer Vergleichswert als die Quote ist jedoch der Marktanteil (in der Grafik hellblau): Da liegt „Markus Lanz“ im ZDF vorn | ©Hörzu

    Obendrein denkt man beim WDR über zusätzliche Termine für „Maischberger“ nach. Zum 20-jährigen Bestehen wurde der Talk im September 2023 schon neu justiert: Moderatorin Sandra Maischberger greift nun mehrere Themen auf und wechselt zwischen dem Kommentatoren-Panel, Einzel- und Duellgesprächen hin und her. Die von der ARD geforderte bessere Abstimmung der Redaktionen ist für „Newcomerin“ Caren Miosga kein Problem: „Selbstverständlich treffen wir Absprachen und werden uns immer einigen, wer wann wo sitzt.“ Sie schränkt aber ein: „Das ist nicht immer einfach, denn natürlich gibt es manchmal zentrale Personen in bestimmten Debatten. Mal kriegt dann der eine den Zuschlag, mal der andere.“ Und natürlich sind nicht alle Menschen gleichermaßen gut geeignet, vor Kamera und Studiopublikum zu sprechen. Miosga sieht dennoch keinen harten Kampf um die Gäste: „Es ist ein gesunder Wettbewerb.“

    Kevin Kühnert ist der Talkkönig 2023

    Fakt ist: Manche Gäste tauchen besonders oft auf. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ist Talkshowkönig 2023, er saß 18- mal in einem Studio. Im Jahr zuvor war Norbert Röttgen mit 21 Auftritten Spitzenreiter, im Corona-Jahr 2021 Karl Lauterbach mit 40 Auftritten. Viele glauben, dass er sein Amt als Gesundheitsminister auch seinen Talkshowbesuchen zu verdanken hat, weil Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Kabinettsbildung nicht an ihm vorbei konnte. Auch bei der Themenwahl ist der Spielraum für Miosga begrenzt: „Was ich jetzt schon sagen kann, ist, dass uns in diesem Jahr die dauervirulenten Themen wie Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine oder der Krieg in Nahost leider wohl genauso beschäftigen werden wie Anne Will im vergangenen Jahr.“

    Und was macht die Konkurrenz? Beim ZDF ist man mit Maybrit Illner und Markus Lanz zufrieden. Ein ZDF-Sprecher: „‚Markus Lanz hat 2023 weiterhin sein Profil geschärft, dreimal in der Woche lebhafte und meinungsstarke Diskussionen anzubieten – das wird 2024 fortgesetzt.“ Die Runden bei Lanz sind von Politikern gefürchtet: Wegen seines hartnäckigen Nachfragens wirken sie oft wie Verhöre. Bei „Maybrit Illner“, wo im vorigen Frühjahr bereits das Studio verändert wurde, setzt das ZDF auf die seit Jahren etablierte Form.

    Illner bezeichnet sich als „Polit-Junkie“ und hat seit 1999, anfangs unter dem Titel „Berlin Mitte“, über 1000 Sendungen moderiert. Veränderungen stehen 2024 also nur bei der ARD an. Und die GVK hat auch schon eingelenkt: Man würdige die internen Anstrengungen, heißt es. Caren Miosga bringt es auf den Punkt: „Ein politisches Gespräch ist ein politisches Gespräch und bleibt ein politisches Gespräch.“

    Im HÖRZU-Interview gibt Caren Miosga erste Einblicke in ihre neue Polit-Talkshow:

    HÖRZU: Frau Miosga, welchen Anspruch haben Sie an Ihre neue Sendung?

    CAREN MIOSGA: Ich würde mich freuen, wenn es gelänge, gelegentlich jene Phrasen aufzuspießen, mit denen geübte Politiker immer wieder wortreich nichts sagen. Der von mir sehr geschätzte Roger Willemsen hat einmal gesagt: Eine gute Frage ist die, auf die ich keine Antwort kenne. Also muss ich gute Fragen stellen. Vielleicht bekomme ich dann auch eine gute Antwort.

    Wie wollen Sie Ihren Polit-Talk abgrenzen von Sandra Maischbergers Format?

    Der größte Unterschied liegt darin, dass „Maischberger“ Gäste zu mehreren Themen der Woche einlädt – wir sprechen über eines. Außerdem haben die Sendungen andere Strukturen. Maischberger lädt drei Kommentatoren ein, das Welt- und Politikgeschehen einzuordnen, bevor sie mit Politikern diskutiert. Wir bringen Beobachter mit politisch Handelnden ins Gespräch.

    Bieten Sie der AfD eine Bühne?

    Die Formulierung „Bühne“ ist falsch, weil dahinter der Vorwurf steckt, dass wir die AfD größer machen würden. Das ist Quatsch, weil die AfD die öffentlich-rechtlichen Medien nicht braucht. Sie hat ein großes Social-MediaNetz, erreicht ihre Wähler ohnehin. 2024 ist es in Bezug auf die Landtagswahlen in drei ostdeutschen Ländern, in denen die AfD ziemlich weit oben liegt, wichtig, mit den Vertretern der AfD auch zu sprechen. Rechtsextreme Vertreter werden wir nicht einladen. Und wir haben auch kein Interesse daran, jene bei uns zu haben, die unentwegt selbst gebastelte Lügengebäude verbreiten.

    Heißt das, Björn Höcke ist raus?

    Ja.

    Warum stemmen Sie die Sendung mit einer eigenen Produktionsfirma?

    Das ist ein normaler Weg, den der Sender am liebsten geht, weil man extern effizienter und kostengünstiger produzieren kann.

    Mit 5,8 Millionen Euro pro Jahr ist Ihr Talk laut „Business Insider“ günstiger als der von Anne Will. Stimmen diese Zahlen?

    Bei Verträgen gibt’s immer Verschwiegenheitsklauseln. Deswegen darf ich mich dazu nicht äußern.

    Sie senden aus einem neuen Studio. Warum haben Sie nicht das von Will übernommen? Das wäre noch mal kostengünstiger.

    Das Studio hatte einige Jahre auf dem Buckel. Eine neue Sendung braucht immer auch einen neuen Anstrich. Dabei sind wir insgesamt günstiger – das stand ja in der Zeitung, und ich kann es bestätigen.

    Ihre Meinung über den Begriff „PolitTalkshow“?

    Ich finde den Begriff „Polit-Talkshow“ nicht angemessen. Inszenierter Krawall passt nicht in diese unruhige Zeit. Stattdessen halte ich es lieber mit einer politischen Gesprächsrunde.