Immer mehr Menschen leiden am Chronischen Fatigue-Syndrom. Neue Therapiewege geben Hoffnung auf Regeneration.
Die Betroffenen sind unendlich erschöpft, oft fehlt sogar die Kraft, eine Tasse anzuheben. Es hilft weder Schonung noch Bewegung. Und bislang auch keine Medikamente. Das Chronische Fatigue-Syndrom (CFS) hat als Leitsymptom stete Müdigkeit, dazu kommen oft Kopf- und Gliederschmerzen sowie Konzentrationsprobleme.
Das Auftreten von Fatigue (englisch/französisch für Müdigkeit) ist bekannt etwa bei Krebserkrankungen. Viren können CFS auslösen, etwa die Erreger von Herpes und Influenza, oder Borrelien, übertragen durch Zecken. Corona hat der Krankheit, auch Chronisches Müdigkeitssyndrom genannt, Aktualität gegeben: „Mit der Zahl der Patienten erhöhten sich die CFS-Fälle um das Drei- bis Vierfache auf etwa 1,2 Millionen“, so Internist Dr. Bernhard Dickreiter, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Bei geschätzt fünf bis zehn Prozent der Covid-19-Patienten tritt später CFS auf. „Die Medizin tut sich schwer mit chronischer Müdigkeit“, weiß Dr. Dickreiter.
Häufig setzten Ärzte darauf, dass die Patienten mittels längerer Krankschreibung und verordneter Ruhe wieder neue Kraft gewinnen. Was aber nicht passiere. Oft wird CFS für eine Depression gehalten. Im Fokus: das Kraftpotenzial der Zellen „Jede motorische oder geistige Leistung, auch die Herzfunktion, die Verdauung und die Hormonproduktion, basiert auf funktionsfähigen Zellen“, so der Internist.
Dafür benötigen die Zellen genügend Energie. Der Facharzt sieht die Symptome der chronischen Erschöpfung in einem Mangel an Zellenergie schlüssig erklärt. Die Kraftwerke der Zellen, die Mitochondrien, reagieren sehr empfindlich auf unterschwellige Entzündungen, zu wenig Bewegung oder fehlende Mikronährstoffe. „Eine Zelle ohne ausreichend vitale Mitochondrien ist wie ein Handy mit schwachem Akku, das sich nicht mehr ganz aufladen lässt“, vergleicht der Experte. Als CFS-Schnelltest eignet sich etwa die Bestimmung der Handkraft: Typisch für Betroffene ist, dass der erste Messwert noch nach einer Stunde nicht wieder erreicht werden kann.
Die Therapie setzt auf mehreren Ebenen an. Unverzichtbar ist nach Dr. Dickreiters Erfahrung ein regelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus. Ausreichend Schlaf und Tageslicht sind die Basis für den gesunden Ablauf vieler Prozesse. Auch gut: schonende Bewegung. „Sie sollte nach Möglichkeit im Freien absolviert werden“, rät er. Eine große Rolle spielt die Ernährung. Zu reduzieren sind etwa Weißmehlprodukte, Wurstwaren und Süßes, weil sie stille Entzündungen fördern, die den Körper schwächen. Alkohol als Zellgift ist tabu.
Zur Förderung der Zellregeneration rät Dr. Dickreiter: „Zweimal pro Woche Intervallfasten nach der 8/16-Methode.“ Das bedeutet: Nahrungsaufnahme nur über acht Stunden, dann 16 Stunden Fasten inklusive Nachtruhe. „Mikronährstoffe können nach derzeitigem Wissensstand helfen, die Kraftwerke der Zellen aufzufüllen“, so der Reha-Experte. Für die Mitochondrien unentbehrlich: Alpha-Liponsäure, Vitamin D, Vitamin B1, B6, B12, L-Tryptophan, Q10 und Glutathion. Ein Blutbild gibt Aufschluss über Defizite. Bei Patienten mit Chronischem Müdigkeitssyndrom, die diese Nährstoffe einnahmen, verbesserten sich laut Dr. Dickreiter die Blutwerte wesentlich. Zusätzlich können Kurkumin- oder Weihrauchpräparate Entzündungen hemmen.
Schon die kleinste Beanspruchung zu viel kann zur Verschlechterung des Chronischen Fatigue-Syndroms führen. „Das Wichtigste ist, mit den verbliebenen Kräften zu haushalten“, sagt Dr. Dickreiter. Trotz wenig körperlicher Bewegung lässt sich die Mikrozirkulation in den Gefäßen in Gang bringen: „Durch Physiotherapie.“ Dazu eignet sich dem Spezialisten zufolge die sogenannte Biomechanische Stimulation nach Prof. Nazarov. Dabei stimulieren Vibrationen die Muskulatur.
Auch Osteopathie, Bindegewebsmassagen oder Faszienmobilisation mit Rolfing helfen, die Muskelspannung zu normalisieren. Ziel ist, die Nährstoffversorgung im Muskel und in den umgebenden Organen zu aktivieren. Therapeuten müssen auf die Energie der Patienten achten. „Fördern durch Fordern“, Konzept der klassischen Rehabilitation, überlastet nach Ansicht von Dr. Dickreiter möglicherweise und verlängert die Regenerationsphase. Auch das Umfeld kann zur Genesung des Betroffenen beitragen: Niemals den Vorwurf machen, es fehle an eigenem Bemühen. Gefordert sind Verständnis und Mitgefühl.
Passend zum Thema: Die Reportage-Reihe "Mein Körper. Meine Energie" vom Bayerischen Rundfunk in der ARD-Mediathek.