Der älteste Hai der Welt

05.01.2023 um 00:22 Uhr
    Kein anderes Wirbeltier kann so alt werden wie der Grönlandhai – über 500 Jahre. | © Arte
    Kein anderes Wirbeltier kann so alt werden wie der Grönlandhai – über 500 Jahre. | ©Arte

    Der Eishai gilt als das weltweit älteste Wirbeltier. ln der Doku „GRÖNLAND: WILDE NATUR“ geht Meeresbiologe Uli Kunz auf die Suche nach der rätselhaften Kreatur.

    Gefährlicher Killer, eleganter Schwimmer, Geschwindigkeitskünstler? Nicht der Grönlandhai! Er widerspricht so ziemlich jedem Klischee über seine Art. Sein plumper Körper hat verkümmerte Brustflossen, mit denen er sich langsam und schwerfällig durch die dunklen, eisigen Gewässer der Arktis bewegt. Seine stumpfe Schnauze trägt zu seiner unförmigen Gestalt bei. Oft trüben rosafarbene, wurmartige Parasiten, die von den Hornhäuten der Augen baumeln, seine Sicht. Und er frisst mitunter Aas, etwa Eisbärkadaver, die ins Meer sinken. Selten konnten Eishaie, wie die Art auch genannt wird, bisher beobachtet und gefilmt werden: Normalerweise leben sie in bis zu 2000 Metern Tiefe. Meeresbiologe Uli Kunz wagt einen neuen Versuch: In der Doku „Grönland: Wilde Natur“ (Do, 5. Januar, 20.15 Uhr bei Arte und in der Mediathek)  reist er nach Ostgrönland zur Inuitsiedlung Tasiilaq, um den erfahrenen Jäger und Fischer Julius Nielsen zu treffen, der dort geboren und erzogen wurde. Von ihm will Kunz lernen, wie Inuit Eishaie fangen.

    Der Methusalem der Weltmeere

    Früher wurde das Tier gejagt, um aus seiner Leber Lampenöl zu gewinnen. Heute landet es meist als ungewollter Beifang im Netz, denn sein Fleisch ist kaum genießbar. Bei den Inuit aber ist es Teil der traditionellen Ernährung: eine Spezialität, die Hákarl genannt wird. Eishai müsse einige Monate im Schnee liegen und dann getrocknet werden, erklärt Nielsen in der Doku: „Erst dann essen die Menschen ihn. Und die Hunde auch. Die Jugend mag das nicht, aber die Älteren lieben es.“ So wenig attraktiv das Tier auf den ersten Blick erscheint, es ist ein faszinierendes Forschungsobjekt: Der Grönlandhai hat die höchste Lebenserwartung aller Wirbeltiere.

    2016 untersuchten Wissenschaftler Eishaie, die als Beifang verstorben waren stellten fest, dass der älteste mindestens 272 Jahre alt gewesen sein musste, vielleicht sogar bis zu 512 Jahre. John Fleng Steffensen, Meeresbiologe an der Universität Kopenhagen und Leiter der Studie, gelang die Altersbestimmung, indem er Augenlinsen der Tiere analysierte. Im Gegensatz zu den meisten Geweben, in denen neue Zellen wachsen, werden Augenlinsen bei der Geburt produziert und bleiben außerordentlich stabil. In der Mitte der orangengroßen Augen befindet sich der Kern, der den ursprünglichen Kohlenstoff enthält.

    In den kalten Gewässern des Nordatlantiks werden Grönlandhaie groß und alt. Forscher versuchen, ihre Langlebigkeit zu entschlüsseln, | ©Imago

    Dass Grönlandhaie wahrscheinlich fast ein halbes Jahrtausend alt werden können, erstaunte die Forscher. Einige Tiere, die heute durch die Nordmeere schwimmen, haben demnach vor Napoleon das Licht der Welt erblickt! Warum speziell diese Haie so alt werden, ist nicht vollständig geklärt. Förderlich für ihre außergewöhnlich hohe Lebenserwartung scheint jedoch ihr kalter Lebensraum zu sein. Die entsprechend niedrige Körpertemperatur verlangsamt den Stoffwechsel, wodurch das Gewebe weniger belastet wird. Eishaie lassen sich auch beim Wachsen Zeit: Pro Jahr legen sie in ihrer zweiten Lebenshälfte nur etwa einen Zentimeter zu.

    Da die Tiere den größten Teil ihres Lebens in der Tiefsee verbringen, die für Taucher unerreichbar ist, wurde in den vergangenen 50 Jahren auch nur ein einziges schwangeres Weibchen beobachtet. Geschlechtsreif werden die Weibchen erst ab vier Meter Größe – im Alter von rund 150 Jahren. Um die späte Geschlechtsreife auszugleichen, bringen sie jedoch wohl sehr viele Junge zur Welt: Forscher fanden zwischen 400 und 649 Eier in verstorbenen Weibchen. Sollte nach ihrer vorsichtigen Schätzung mindestens die Hälfte dieser Eier befruchtet werden, können Grönlandhaie mehr als 200 Junge pro Schwangerschaft zur Welt bringen.

    Grönlandhunde, eine ortstypische Züchtung, bringen den Biologen Uli Kunz per Schlitten über die Insel. | ©Arte

    Um eine dieser kuriosen Kreaturen zu treffen, scheut Uli Kunz keinen Aufwand: Mit Julius Nielsen versenkt er einen Köder im Meer. Der Geruch von Fett, Fleisch und Blut soll die Haie in seichteres Wasser locken. Allen Bemühungen zum Trotz ergeht es Kunz allerdings wie so vielen Interessierten: Er erlebt das Phänomen der Polarlichter, taucht im Ikkafjord mit seinen rätselhaften Mineralsäulen, besucht ein Klimaforschercamp auf dem grönländischen Eisschild – das Treffen mit dem „Methusalem der Meere“ allerdings bleibt ihm leider verwehrt.

    Arte-Doku „Grönland: Wilde Natur“: Do, 5. Januar, 20.15 Uhr und in der Mediathek.