Der Fuchs: Hinterlistig und gemein - oder liebevoll und selbstlos?

05.12.2022 um 13:23 Uhr
    Den größten Teil des Tages wird geschlafen, erst abends ist der Fuchs munter. | © Imago
    Den größten Teil des Tages wird geschlafen, erst abends ist der Fuchs munter. | ©Imago

    Freispruch für den Fuchs: Experten zeichnen ein neues Bild unseres wilden Nachbarn

    Nein, gut ist sein Ruf nicht. Der Fuchs gilt als hinterlistiger Hühnerdieb, spielt in Märchen und Fabel den bösen Verräter. Kinderlieder wie „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ stellen ihn an den Pranger. Doch die deutschen Fuchsexperten Dag Frommhold und Daniel Peller widmen ihr neues Buch (Die Weisheit der Füchse) jetzt der Ehrenrettung des Gescholtenen. Selbstlos, liebevoll und fürsorglich soll er sein – und ein Überlebenskünstler. Jahrhundertelang galt „Reineke Fuchs“ als Einzelgänger, der auf der Jagd nach Beute allein durch die Wildnis streift. Ein Irrtum! „Füchse beweisen zumindest während der Welpenaufzucht durchaus Familiensinn“, erklärt Daniel Peller, der seit 2017 ein bundesweites „Fuchshilfsnetz“ betreibt.

    Wenn meist im März nach rund 53 Tagen Tragzeit der Nachwuchs auf die Welt kommt, spielen sich im geschützten Bau rührende Szenen ab. Die Mutter leckt ihre handtellergroßen Fellknäuel trocken, dann erobern die Kleinen noch wackelig die Zitzen mit der gehaltvollen Muttermilch. Sie wiegen nur 100 Gramm, so viel wie eine Tafel Schokolade, sind zunächst blind und taub. „Nicht einmal ihre Körpertemperatur können sie selbstständig aufrechterhalten“, erklärt Peller. „So hängt ihr Überleben von der Pflege und Wärme ihrer Mutter ab.“ Wenn sie mal den Bau verlassen muss, kuscheln sich die Welpen wimmernd zusammen. „Die Füchsin, Fähe genannt, muss sich beeilen, denn mit jeder Minute ihrer Abwesenheit wächst die Gefahr für ihre Kinder“, so Daniel Peller. Feinde lauern schon.

    Rund ein halbes Jahr dauert es, bis der Nachwuchs die wichtigsten Lektionen gelernt haben. | ©Imago

    Zum Glück hat sie Hilfe. Der Fuchsrüde unterstützt sie tatkräftig und bringt unentwegt Futter zum Bau. Vielleicht entstand daraus das Vorurteil, er sei Einzelgänger. Zwar geht er allein auf die Jagd – doch für den Nachwuchs. Was der treue Familienvater erbeutet, übergibt er der Mutter oder legt es vor der Höhle ab und stupst es mit der Schnauze in den Eingang. Sind die Welpen größer, kümmern sich beide Eltern gemeinsam um Pflege und Schutz des Nachwuchses und gehen auf Nahrungssuche. „Wenn der stolze Vater Zeit mit den Welpen verbringt, scheint er dabei manch - mal selbst wieder zum Kind zu werden“, schwärmt Experte Peller. „Ausgelassen tobt und spielt er mit ihnen, und alle haben sichtlich Freude daran. Wenn der Füchsin das Spiel zu wild erscheint, greift sie ein und weist ihren Partner zurecht.“ Familienszenen, die so gar nicht zum ramponierten Image passen.

    Ein Leben im Verborgenen

    Viele Vorurteile halten sich hartnäckig, weil das Sozialleben des Fuchses meist im Verborgenen stattfindet. Er ist misstrauisch, scheu und wird erst in der Dämmerung aktiv. „Bis vor wenigen Jahrzehnten konnten Füchse sich aufgrund ihrer geringen Körpergröße und ihrer heimlichen Lebensweise sogar der wissenschaftlichen Untersuchung ihres Verhaltens weitgehend entziehen“, stellt Experte Peller klar. Inzwischen weiß man, dass ihr Sozialsystem flexibel ist: perfekt an die jeweiligen Lebensbedingungen angepasst. Da gibt es Eltern mit ihrem Nachwuchs, auch mal einen Einzelgänger, der sich clever durchschlägt, und sogar Großfamilien mit den bereits erwachsenen Kindern des Vorjahrs. Im „Hotel Mama“ herrscht dann eine klare Rollenverteilung. Weibliche Füchse werden zu sogenannten „Helferfähen“. Sie bringen Nahrung zum Bau, pflegen, beaufsichtigen und unterrichten ihre kleinen Geschwister. Rüden hingegen suchen sich meist im Herbst ein eigenes Revier, am liebsten in der Nähe der vertrauen Umgebung.

    Sein buschiger Schwanz lässt den Fuchs größer erscheinen, als er ist. Gewicht: rund sechs Kilogramm. | ©Imago

    „Wer denkt, Kindergärten gebe es nur bei Menschen, der irrt sich“, sagt Peller. „Denn auch Füchse bringen die Kinder mehrerer Eltern in einer Gruppe zusammen.“ Das verringert den Aufwand für die Betreuung, die Erwachsenen haben mehr Zeit für andere Pflichten oder gönnen sich eine kurze Auszeit. So flexibel wie das Privatleben ist auch der Speiseplan. Mit anderen Worten: Der Fuchs gilt als Allesfresser. Das klingt nicht wie ein feiner Charakterzug, sichert aber sein Überleben und macht ihn anpassungsfähig. Mal ein Huhn aus dem Stall? Das kann er nicht leugnen, ist aber die Ausnahme. Für viele sicher überraschend: „Regenwürmer zählen mancherorts zu den wichtigsten Nahrungsquellen für Füchse“, betont Daniel Peller.

    Die Jagd auf derartig schlüpfrige Beute will gelernt sein und gehört zum Stundenplan der Fuchswelpen. Dabei kommt es auf Schnelligkeit und Feingefühl an. „Wie mit einer Pinzette hält der Fuchs das eine Ende des Wurms vorsichtig mit den Schneidezähnen fest“, beschreibt der Experte die ungewöhnliche Jagd. „Dann zieht er ihn stramm und ,kitzelt‘ ihn mit einer Pfote so lange, bis er ihn Stück für Stück aus seinem Loch ziehen und komplett verspeisen kann.“ Was den Hunger stillt, wird gefressen – egal ob Maus, Kaninchen, Rebhuhn, in der Stadt sogar Katzenfutter oder der halbe Cheeseburger aus dem Müllcontainer. Auch verletzte Stadttauben, überfahrene Eichhörnchen und fette Maikäfer, die nach dem Umschwirren von Straßenlaternen erschöpft zu Boden fallen, werden zu Snacks.

    MDR-Doku: Waschbär, Fuchs und Nutria - Siegeszug der Wild-Tiere in die Stadt |

    Diese Anpassungsfähigkeit macht es dem Fuchs leichter, neue Lebensräume zu erobern und sich sogar in Großstädten wie Berlin wohlzufühlen. Zutraulich wird er dort aber nicht. Er begegnet den Menschen mit Vorsicht – eine Folge der jahrhundertelangen intensiven Bejagung. „Die Nachstellungen durch Jäger mit weitreichenden Schusswaffen haben Füchse gelehrt, dass die Gegenwart eines Menschen ihnen schon aus erheblicher Distanz den Tod bringen kann“, erklärt Daniel Peller diese Scheu. „Es ist daher nur logisch, dass sie die Nähe zu Menschen meiden und panisch flüchten, schon wenn sie uns mit ihren feinen Sinnen aus Hunderten Metern Entfernung wittern, erspähen oder hören.“ Eine verständliche Reaktion. In der Jagdsaison 2020/2021 wurden in Deutschland 459.284 Rotfüchse erlegt. Aber Reineke hat gelernt, dem Menschen mit Raffinesse auszuweichen und dennoch eng mit ihm zusammenzuleben.

    TV-Doku zum Thema: "Paula und die wilden Tiere: Wie schlau ist der Fuchs?" Hier in der BR-Mediathek streamen.