Nach den dunklen Wintermonaten verspüren jedes Jahr häufig viele Menschen die gleichen Symptome: Trägheit, Antriebslosigkeit und Müdigkeit. Den meisten ist das Phänomen der Frühjahrsmüdigkeit bekannt, aber gibt es diese eigentlich wirklich? Was steckt dahinter? Und was verändert sich in unserem Körper? Dr. Torsten Grüttert, Chefarzt der Privatklinik Duisburg und Facharzt für Psychiatrie, hat im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news die Antworten auf die wichtigsten Fragen parat.
Dr. Torsten Grüttert: Wissenschaftlich sind die Ursachen bis heute nicht detailliert geklärt. Sehr wahrscheinlich liegt es aber primär daran, dass zwei Hormone in dieser Jahreszeit aus dem Gleichgewicht geraten: Einerseits wird durch das vermehrte Sonnenlicht im Frühling die Produktion des Glückshormons Serotonin nur langsam wieder angeregt. Andererseits schüttet der Körper durch die dunkle Jahreszeit angestoßen immer noch vermehrt das müdemachende Hormon Melatonin aus. Neben dem Hormon-Ungleichgewicht, dem vermehrten Pollenflug im Frühjahr und der Reaktion des Immunsystems darauf sowie einem möglichen Vitamin-D-Mangel nach einem dunklen Winter, spielen sicher auch die steigenden Temperaturen eine Rolle bei der Frühjahrsmüdigkeit: Durch die sich weitenden Gefäße sinkt der Blutdruck, was uns zusätzlich müde und träge werden lässt. Auch die Zeitumstellung hat gewiss einen Anteil daran, dass wir uns schlapp und müde fühlen. Schließlich beeinflusst diese erheblich unseren Biorhythmus.
Grüttert: Neben der zwei, drei Wochen anhaltenden Mattigkeit und Müdigkeit kann es bei manchen Menschen zu Kreislaufproblemen kommen, andere klagen über Kopfschmerzen. Auch Konzentrationsprobleme oder Stimmungsschwankungen sind möglich.
Grüttert: Die Frühjahrsmüdigkeit belastet manche Menschen bereits mit Beginn des neuen Jahres. Am häufigsten tritt sie im März und April auf, wenn unsere Hormone aus dem Gleichgewicht geraten. Es dauert dann einige Zeit, bis sich der Hormonhaushalt wieder eingependelt hat.
Grüttert:Unser Körper ist im Frühjahr besonders gefordert, da er sich zunächst an den Klimawechsel gewöhnen muss: Vermehrter Temperaturwechsel, veränderte Ernährungsgewohnheiten und deutlich mehr Sonnenlicht fordern unser Herzkreislaufsystem und verändern unsere Hormonspiegel.
Grüttert: Nach Expertenschätzung ist davon jeder Vierte betroffen. Besonders häufig leiden Menschen mit niedrigem Blutdruck oder Wetterfühlige darunter.
Grüttert: In erster Linie, indem ich mich viel draußen bewege. Das Sonnenlicht kurbelt die Produktion von Vitamin D sowie von Glückshormonen wie Serotonin an. Ich spüre neue Energie und neuen Tatendrang. Radfahren, Joggen oder andere Sportarten sind besonders geeignet, um die Frühjahrsmüdigkeit zu bekämpfen. Denn wer regelmäßig in die Pedale tritt oder im Schwimmbecken seine Bahnen zieht, der kurbelt seinen Kreislauf an und fördert die Produktion verschiedener Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin im Gehirn - und somit das Gefühl für Glück und Freude. Wichtig ist darüber hinaus eine fettarme, gesunde Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse, aber auch Getreideprodukten. Außerdem bitte viel trinken - am besten 1,5 Liter oder 2,0 Liter Wasser täglich.
Grüttert: Nein, ärztlich lässt sich Frühjahrsmüdigkeit nicht behandeln. Diese ist weder diagnostizierbar oder therapierbar. Wirksam bekämpfen kann ich diese nur selbst, indem ich aktiv werde. Also mich wie erwähnt viel an der frischen Luft bewege, mich gesund ernähre und wenig Nikotin und Alkohol zu mir nehme. Im Grunde genommen also eigentlich all das tue, was Herz und Kreislauf guttut - und das nicht nur im Frühjahr. Wer möchte, der kann dem Vitamin-D-Defizit durch "Licht-Duschen" nachhelfen: Spezielle Lampen mit bis zu 10.000 Lux (ohne schädlichen UV-Anteil) fördern die Ausschüttung des Glückshormons Serotonin. Zudem sollten generell im Büro oder Wohnzimmer gute Licht- und Stimmungsverhältnisse herrschen. Wechselduschen und regelmäßige Saunagänge sind weitere gute Maßnahmen gegen Frühjahrsmüdigkeit und -verstimmungen.
Grüttert:Frühjahrsmüdigkeit ist keine Krankheit, die der Arzt klar diagnostizieren kann. Darunter versteht man vielmehr eine Befindlichkeitsstörung.
Dr. Torsten Grüttert ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt der Privatklinik Duisburg. Behandlungsschwerpunkte sind Stress-Erkrankungen wie Burnout, Depressionen, Angststörungen sowie psychosomatisch bedingte Schmerzstörungen.