Die Meerechsen von Galapagos sind bislang wenig erforscht. Nun wollen Wissenschaftler Licht ins Dunkel bringen. Auch um die einzigartigen Kreaturen zu schützen.
Als der große Naturforscher Charles Darwin im Jahr 1835 die Galapagosinseln erreichte, war er vom Anblick der nur dort lebenden Meerechsen entsetzt. In seinen Aufzeichnungen ließ er seiner Abscheu freien Lauf: „Das Wesen ist hässlich anzusehen, von schmutzigschwarzer Färbung, dumm und träge in seinen Bewegungen.“ Sie wirkten auf ihn wie „Kobolde der Finsternis“. Was für ein böses, vorschnelles Urteil! Sehen die bis zu 1,30 Meter langen Tiere nicht eher aus wie kleine Dinosaurier der Urzeit oder wie grimmige Drachen aus uralten Sagen?
Je länger man sich mit den Meerechsen beschäftigt, desto faszinierender erscheinen sie. So verfügen sie etwa über ein bemerkenswertes Alleinstellungsmerkmal: Sie sind die weltweit einzigen Echsen, die ihr Futter im Meer suchen. „Ihre Nahrung besteht vor allem aus Makroalgen“, erklärt Prof. Sebastian Steinfartz im Interview mit uns. Steinfartz ist Professor für Molekulare Evolution und Systematik der Tiere an der Universität Leipzig – und der weltweit führende Meerechsenforscher. „Sie suchen diese zum einen gehend im flachen Wasser bei Ebbe. Zum anderen tauchen sie aber auch danach.
Sie können bis zu 30 Minuten unter Wasser bleiben und bis zu sieben Meter tief tauchen. Meistens halten sie sich aber deutlich kürzer unter Wasser auf, zwischen einer und drei Minuten. Unter Zwang – Darwin hat anscheinend entsprechende Experimente gemacht – konnten die Meerechsen sogar mehr als eine Stunde unter Wasser aushalten.“
Über die Fähigkeit zu tauchen verfügen alle Meerechsen. Man vermutet allerdings, dass die größeren Männchen noch weiter hinausschwimmen können als die Weibchen. „Wir wissen, dass manche Meerechsen weite Distanzen zwischen den Inseln zurückgelegt haben“, erklärt Prof. Steinfartz. „Zum Beispiel zwischen San Cristóbal und Española.“ Dabei nehmen die wechselwarmen Tiere die Temperatur des Wassers an. Das ist auch der Grund für ihre schwarze Grundfarbe: Nach Tauchgängen im kühlen Wasser hilft sie ihnen dabei, sich in der Sonne möglichst schnell wieder aufzuwärmen.
Zur Fortpflanzungszeit zieht sich bei den Männchen zusätzlich eine rote und grüne Färbung über den Körper. Danach verblasst diese wieder. „Die Vorläufer der Meerechsen sind wohl vor ungefähr 13 Millionen Jahren auf die Galapagosinseln gekommen“, berichtet Sebastian Steinfartz. „Die Inseln sind rein vulkanischen Ursprungs und waren nie mit dem Festland verbunden. Die Vorläufer der Meerechsen wurden vielleicht durch einen Sturm oder eine starke Strömung auf Treibgut von Mittelamerika aus auf die Galapagosinseln verdriftet. Dort haben sie sich in der Folge in zwei Leguanarten aufgespaltet. Zum einen in die heute immer noch existierenden Drusenköpfe, die an Land leben und sich etwa von Kakteen und Früchten ernähren. Und in die Meerechsen, die sich primär an die Lebensweise im Meer angepasst haben.“
Warum genau diese unterschiedlichen Entwicklungen stattgefunden haben, ist nicht bekannt. „Ein Erklärungsansatz ist, dass einige Echsen eine ökologische Nische besetzt haben, weil die Konkurrenz um Nahrung zu groß geworden ist. Vielleicht war es aber auch ein Zufall. Es ist möglich, dass einige Tiere angefangen haben, in Küstennähe Algen zu fressen, die Art dann immer weiter ins Meer vorgedrungen ist und sich auf diese Lebensweise spezialisiert hat.“
Während die Drusenköpfe in wenigen Regionen des Archipels leben, sind die Meerechsen auf nahezu allen 13 Hauptinseln zu finden. Im Jahr 2017 verglich ein Forscherteam um Sebastian Steinfartz das Genom und die Morphologie aller bekannten Inselpopulationen und konnte nachweisen, dass die Meerechsen aus elf Unterarten bestehen.
Diese neue Klassifizierung ist eine wichtige Erkenntnis, denn es hat sich gezeigt: Manche Unterarten der Meerechsen sind vermutlich stark gefährdet, andere dagegen nicht. Zurzeit ist allerdings nicht bekannt, wie viele Meerechsen es von den einzelnen Unterarten gibt. „Für eine weltweit einmalige und besondere Art ist das eine erstaunliche Forschungslücke“, beklagt Prof. Steinfartz.
„Die geschätzten Zahlen für die Gesamtpopulation schwanken zwischen einigen Tausend und mehreren Hunderttausend Exemplaren.“ Um eine belastbare Zahl zu erlangen, führt seine Kollegin Dr. Amy MacLeod derzeit ein Zensusprojekt durch. Dabei werden Kameradrohnen an die Küstenabschnitte geflogen und die dort lebenden Meerechsen-Populationen fotografiert. Bei der Zählung kann jeder helfen: Auf der Website www.iguanasfromabove.com können Interessierte auf den Bildern die Exemplare zählen.
„Erste Ergebnisse zeigen, dass es auf vielen Inseln deutlich weniger Exemplare gibt, als bislang angenommen wurde“, sagt Steinfartz. Die Ursachen dafür seien vielfältig: „Bedroht sind die Tiere vor allem aufgrund von Umweltverschmutzungen durch Öl und Plastik. Zudem führt das Wetterphänomen El Niño zur Abnahme der Population.“ Der Forscher ergänzt: „Das größte Problem auf den von Menschen bewohnten Inseln sind verwilderte Katzen, die von den Menschen mitgebracht worden sind. In der Regel haben die Meerechsen keine natürlichen Feinde, aber jetzt fressen die eingeschleppten Katzen ihren Nachwuchs.“
In einem weiteren Projekt erforscht Steinfartz, welche Makroalgen die Meerechsen fressen und ob sich die Speisepläne der Unterarten unterscheiden. „Es gilt die Regel: Wir können nur schützen, was wir kennen“, sagt er. „Deshalb ist es wichtig, die Tiere in all ihren Facetten zu verstehen.“ In der öffentlichen Wahrnehmung hätten Meerechsen bislang im Schatten anderer prominenter Galapagos-Tierarten gestanden, etwa der Riesenschildkröten. „Ich hoffe, dass sie bald von mehr Menschen als das wahrgenommen werden, was sie sind: nämlich ganz wunderbare und schützenswerte Tiere.“
TV-Doku zum Thema: „Wilde Inseln: Galapagos“ läuft am 24. Februar um 14.05 Uhr auf 3sat.