Bereits 2024 soll Notre-Dame de Paris in neuem Glanz erstrahlen. Nur fünf Jahre nach dem Inferno. Ist das machbar? Eine Arte-Doku zeigt die Fortschritte bei der Restaurierung.
Noch immer klafft im Herzen von Paris eine offene Wunde. Wo am 15. April 2019 Frankreichs berühmteste Kathedrale Notre-Dame in Flammen stand, ragen Gerüste in den Himmel. Im Inneren arbeiten Expertenteams mit Hochdruck daran, den gotischen Wunderbau wieder zum Leben zu erwecken.
Eine Doku zeigt das ganze Ausmaß des Infernos: verkohlte Balken, verbogenes Metall, rußgeschwärzte Buntglasfenster. Kaum zu glauben, dass Notre-Dame schon 2024 wiedereröffnet werden soll. Mehr als ein Jahr dauerten allein die Aufräumarbeiten, um die Einsturzgefahr zu bannen. Erst anschließend konnten die rund 200 Wissenschaftler die Kathedrale betreten. Ihr Auftrag: den zwischen 1163 und 1345 errichteten Bau originalgetreu zu rekonstruieren.
Eine gewaltige Herausforderung, denn historische Dokumente zum Bau fehlen, Wissen ist verloren gegangen. Vor allem das 35 Meter hohe Kreuzrippengewölbe macht Probleme. „Es gibt keine Handwerker oder Architekten, die damit Erfahrung haben“, betont Pascal Brunet, Frankreichs leitender Architekt für historische Denkmäler. „Daher geht es um Verstehen.“ Welche Techniken kamen vor 800 Jahren zum Einsatz? Welche Materialien? Was aus dem Kircheninneren geborgen wurde, ist kein Schutt. Tausende Steinblöcke mussten gesichert, sortiert und analysiert werden.
Um die meisterhafte Konstruktion des Gewölbes zu verstehen, erstellte die Arbeitsgruppe Digitalisierung 3D-Kopien von herabgestürzten Keilsteinen. Ein Riesenpuzzle! Mit Drohnen-Scans schuf das Team ein virtuelles Modell des Innenraums – zentimetergenau. Im Labor verrieten Trümmerteile weitere Geheimnisse: Aus welchem Steinbruch könnten passende Ersatzblöcke kommen? Mit welchem Holz lässt sich der Dachstuhl rekonstruieren? Da er aus mehr als tausend Eichen bestand, wurde er auch „der Wald“ genannt. Der nächste Schritt zum Wiedererwecken war das Gerüst aus 1200 Tonnen Metall, das ganz Notre-Dame ausfüllt.
Doch die Katastrophe bietet auch Chancen. Erstmals können Archäologen den mittelalterlichen Wunderbau erforschen. Sie dringen in Räume vor, die seit Jahrhunderten niemand betreten hat. So fanden sie den Beweis, dass Notre-Dame anfangs vollkommen ausgemalt war. Niemand hätte vor dem Brand gewagt, den Boden der Kathedrale aufzubrechen. Jetzt ist er durch herabgestürzte Trümmer zerstört und kann mit Radar untersucht werden. Dabei stießen die Teams auf Hohlräume, Reste des alten Fundaments, mehrere mittelalterliche Gräber – und zwei Bleisarkophage.
Einer der Toten konnte anhand einer Inschrift identifiziert werden: Antoine de la Porte, ein hoher Kirchenmann, der 1710 im Alter von 83 Jahren starb. Noch liegen Mammutaufgaben vor jenen, die Notre-Dame für die nächsten Jahrhunderte bewahren wollen. Seit Dezember 2022 prüft das Erzbistum Paris erste Vorschläge von Künstlern für die liturgische Neugestaltung der Kathedrale, denn Altar, Bischofsstuhl, Taufbecken und Tabernakel für die geweihten Hostien sollen nicht nach mittelalterlichen Vorbildern rekonstruiert werden. Wie könnten sie nun aussehen? Es bleibt spannend.
Die drei Teile der Doku „Notre-Dame, die Jahrhundertbaustelle“ laufen am 4. März um 20.15 Uhr auf ARTE.