Wunderwerk Pilz: Darum sind Pilzfasern das Material der Zukunft

15.11.2022 um 19:35 Uhr
    Der Austernseitling kann Erdöl in ungiftige Nährstoffe kristallisieren | © Imago
    Der Austernseitling kann Erdöl in ungiftige Nährstoffe kristallisieren. | ©Imago

    Mehr als nur schön und schmackhaft: Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des nachwachsenden Rohstoffs machen Pilzfasern zum Stoff, aus dem die Zukunftsträume sind.

    Bei einem Spaziergang durch den Herbstwald atmet die Seele befreit. Gerade noch gefangen in der Hektik des grauen Alltags, entspannt die rot-goldene Blätterpracht Auge und Kopf. Fällt der Blick zu Boden, entdeckt man jetzt auch den einen oder anderen Pilz. Sein Fruchtkörper ist hübsch und kann köstlich sein – aber auch ungenießbar oder gar giftig.

    Doch Pilze sind sehr viel mehr als das: Sie könnten unsere Industrie und Wirtschaft, ja unser Leben revolutionieren. Davon ist Patrik Mürner, Mykologe aus Leidenschaft, überzeugt. Er sagt: „Pilze bilden die Lebensgrundlage für alle Organismen.“ Mürner kommt in der Dokumentation „Superhelden Pilze“ (hier in der BR-Mediathek streamen) zu Wort, die sowohl ihn als auch experimentierfreudige Chemiker und Biologen bei der Arbeit zeigt. Sie wollen Dämmstoffe, Verpackungsmaterialien und Leder durch Wurzelfasergeflecht ersetzen.

    Der Zunderschwamm dient dem Fraunhofer-Institut Potsdam zur Herstellung von Lederersatz. | ©Imago

    „Diese Pilzmycelien sind Netzwerke. Getrocknet bilden sie stabile Strukturen. Außerdem scheiden verschiedene Pilzarten lösungsmittelähnliche Enzyme aus, die das Bindemittel vom Pflanzenzellstoff auflösen und die Fasern beim Trocknen wieder verkleben“, erklärt Patrik Mürner im Gespräch mit HÖRZU. Er selbst sei gerade an der Produktion eines korkähnlichen Bodenbelags aus Mycelien und Holzspänen beteiligt.

    Der Forscher experimentiert auch mit Pilzlösungen, die Böden von Giftstoffen reinigen. So könne etwa Erdöl in ungiftige Nährstoffe mineralisiert werden, könnten Schwermetalle kristallisiert und an Pflanzenwurzeln weitergeleitet werden, die sie in Blättern und Holz anreichern, was die Entsorgung erleichtert. Mürner hat außerdem einen Dünger entwickelt, der in Zeiten von anhaltender Trockenheit Nutzpflanzen dabei unterstützt, Wasser aus tieferen Schichten zu ziehen. „Die menschengemachten Probleme unseres Planeten erfordern nachhaltige Konzepte“, so der Experte. „Und Pilze bieten in vielfältiger Weise Lösungen auf dem Weg in einen Paradigmenwechsel.“

    Pilze sind der Weg in die Nachhaltigkeit

    Wann könnte dieser Wandel zu einer neuen wissenschaftlichen Grundauffassung stattfinden? „Momentan sind verschiedene Projekte mit Pilzanwendungen in den Startlöchern“, so Mürner. Bis zur Marktreife kann es aber dauern. „Pioniere brauchen langen Atem, um Gesellschaft, Institute und Investoren zu überzeugen.

    Neue Produkte sind aber Konkurrenz zu einem bestehenden Markt, erst recht, wenn sie wünschenswertere Eigenschaften aufweisen als ihre Vorgänger“, glaubt der Schweizer. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand: „Pilzmaterialien brauchen wenig Energie zur Herstellung, speichern Kohlenstoff und sind biologisch abbaubar. Mykorrhiza-Pilze steigern Wachstum, Gesundheit und Ernte. Vitalpilze bieten riesiges Potenzial in der Vorsorge und Behandlung von Krankheiten bei Mensch, Tier und Pflanze.“

    Patrik Mürner warnt: „Wenn wir diese Chance nicht wahrnehmen, wird ein Teil der Menschheit verdursten und verhungern und andere Arten mit in den Abgrund ziehen.“ Er hat den Kampf gegen diesen Albtraum aufgenommen.

    Die TV-Doku „Superhelden Pilze“ hier in der BR-Mediathek streamen.