Letzte Folge "Toni, männlich, Hebamme": Muss Leo Reisinger jetzt wieder kellnern?

16.08.2024 um 18:45 Uhr
    Die Funken sprühen zum letzten Mal zwischen Entbindungspfleger Toni Hasler (Leo Reisinger) und Praxiskollegin Luise Fuchs (Wolke Hegenbarth). | © ARD Degeto Die Funken sprühen zum letzten Mal zwischen Entbindungspfleger Toni Hasler (Leo Reisinger) und Praxiskollegin Luise Fuchs (Wolke Hegenbarth). | ©ARD Degeto

    Die 2019 gestartete ARD-Reihe "Toni, männlich, Hebamme" geht heute zu Ende. Anlässlich der letzten Folge spricht Hauptdarsteller Leo Reisinger im Interview über Stigmata, klassische Rollenverteilungen und seine Jobs neben der Schauspielerei. Das Aus der TV-Reihe nimmt er gelassen und glaubt, „dass jeder von Zeit zu Zeit eine Durststrecke braucht, um sich neu zu orientieren.“

     "Ich traue mich zu sagen, dass ich ein sehr moderner Mann bin, der nicht davor zurückschreckt, in irgendeine Schublade gesteckt zu werden", erklärt der 46-Jährige im Interview zu seinem letzten Auftritt als Toni Hasler in  "Das Glück der Anderen" (16. August, 20.15 Uhr im Ersten). "Ich habe selbst drei Kinder, und auch bei uns zu Hause ist - wie in den Drehbüchern - dieses klassische Rollenprofil auf den Kopf gestellt." Wie das in den vergangenen fünf Jahren als TV-Hebamme war, worauf Reisinger als Mann Wert legt und wie er in die Zukunft blickt, erzählt er im Interview. Schließlich endet die 2019 gestartete Reihe nun mit dem zehnten Film...

    Sie spielen einen Mann in einem ehemals typischen Frauenberuf - etwas, das heutzutage normal sein sollte, oder?

    Reisinger: Absolut. Ich traue mich zu sagen, dass ich ein sehr moderner Mann bin, der nicht davor zurückschreckt, in irgendeine Schublade gesteckt zu werden. Ich habe selbst drei Kinder, und auch bei uns zu Hause ist - wie in den Drehbüchern - dieses klassische Rollenprofil auf den Kopf gestellt. Ich bin nicht der Mann, der arbeiten geht, das Geld nach Hause bringt, und die Frau putzt derweil. Früher traf dieses Familienmodell auch auf meine Familie zu. Meine Frau und ich legen heute allerdings Wert auf eine absolute Gleichberechtigung. Das wäre überall auf der Welt so wichtig. Toxische Männlichkeit ist bei mir jedenfalls nicht zu finden.

    Wie definieren Sie toxische Männlichkeit?

    Reisinger: Toxische Männlichkeit zeichnet sich für mich dadurch aus, dass ein Mann im alltäglichen Umgang mit einer Frau sehr dominant und vielleicht auch laut ist. Sie weist darauf hin, dass an dem Klischee, dass Männer sich gerne mit Substanzen wie Alkohol betäuben und damit meinen, besser durchs Leben zu kommen, etwas dran ist. Toxische Männer reflektieren meiner Meinung nach ihr Verhalten nicht wirklich, sie denken egozentrisch. Natürlich gibt es dieses Verhalten nicht nur bei Männern - es gibt auch Frauen, die sich so verhalten. Ich spreche davon, diese Muster, die manche heute noch leben, zu durchbrechen, sensibel zu hinterfragen und meine Wahrheit zu leben.

    Die da wäre ...?

    Reisinger: Offen zu bleiben. Mein erster Gedanke war tatsächlich auch: "Oh Gott, eine männliche Hebamme - was machen's denn jetzt wieder?". Dass Toni ein Kämpfer ist, der als Mann einen typischen Frauenberuf ausübt, hat mich jedoch beeindruckt. Hand aufs Herz: Dass man als männliche Hebamme manchmal komisch angeschaut wird, lässt sich nicht vermeiden. Schließlich betritt man als Mann eine Welt, die einem relativ fremd ist. Es gibt einfach Dinge, die sind in unserer Gesellschaft Frauen vorbehalten, andere wiederum Männern. Und das stellen wir jetzt auf den Kopf.

    Inwiefern hat das Ihre Sichtweise auf den Hebammenberuf verändert?

    Reisinger: Mir beispielsweise war bis dato nicht bewusst, dass der Verdienst vieler Hebammen nicht ausreicht, um gut zu leben. Und das in diesem Beruf! Du brauchst eine Hebamme, um ein Kind zu gebären. Alleine die Verantwortung! So eine Geburt ist nicht immer nur schön. Als Hebamme erlebst du Situationen, die dir alles abverlangen. Das Risiko, dass etwas schiefgeht, ist oft enorm hoch.

    Und das alles in einem Beruf, der häufig wenig Beachtung in der Gesellschaft findet ...

    Reisinger: Ich würde sagen, dieses Stigma verliert immer mehr an Bedeutung. Als ich mit den Dreharbeiten begonnen habe, waren es acht männliche Hebammen in Deutschland. Mittlerweile gibt es schon 22. Die Tendenz steigt. Aber natürlich ist noch Luft nach oben.

    Wenn die administrative Seite für Ihre Rolle nicht wichtig war, wie haben Sie sich vorbereitet?

    Reisinger: Ich bin Vater von drei Kindern - das war Vorbereitung genug (lacht). Beim letzten war ich nicht mehr so vorsichtig wie beim ersten. Aber ich denke, das ist ganz natürlich. Ein bisschen Erfahrung war also schon da, und ich bin ein sehr guter Beobachter. Trotzdem war ich froh, dass die Hebammen am Set mich eingewiesen haben.

    ... und die Babysitter.

    Reisinger: (lächelt) So ungefähr, ja. Wir drehen mit echten Babys. Und da müssen wir uns natürlich alle nach dem Kind richten. Wenn das Kind Hunger hat, haben alle anderen auch eine kleine Pause - oder wir drehen einfach eine andere Szene. Das klappte immer recht gut. Zu verdanken war das auch den tollen Müttern. Viel Kommunikation führt eben zu einem guten Ergebnis. Schwierig war es nur, wenn ein Baby sich in die Hose gemacht hat - und die Leute hinter der Kamera, die noch keine Kinder hatten, mussten sich darum kümmern. Für uns Eltern ist das kein Problem: einfach schnell abwischen.

    Mit diesen lustigen Anekdoten vom Set ist es nun allerdings vorbei ...

    Reisinger: Ja, leider endet die Reihe mit diesen beiden Filmen. Kurz nachdem ich das verkündet hatte, bekam ich so viele nette Rückmeldungen, dass die Fans traurig sind, dass es nicht weitergeht - egal aus welcher Generation. Eine Abschlussfolge wäre noch cool. Die Fans wollen doch wissen, wie das Finale mit Toni und Luise ausgeht.

    Haben Sie aus Ihrem Umfeld negative Resonanz wegen Ihrer Rolle erfahren?

    Reisinger: Ich kann mit Stolz sagen: Nein, ganz im Gegenteil. Selbst Männer, die ich eher abends vor dem "Tatort" vermuten würde, schwärmen von der männlichen Hebamme.

    Das sieht online schon ganz anders aus, oder?

    Reisinger: Ich scheine vom Universum geschützt zu sein. Denn auch in den sozialen Medien bleibe ich von negativen Kommentaren weitgehend verschont. Doch ich würde dem auch keine Beachtung schenken, weil ich denjenigen, die - oft anonym - über andere urteilen, vergleichsweise niedriger schwingen. Soziale Medien sind eine gute Marketingmöglichkeit, aber man muss vorsichtig damit umgehen.

    Und Sie wissen, wie das geht?

    Reisinger: Ich versuche es zumindest zu verstehen. Ich ziehe momentan so viele tolle Menschen an. Genau genommen sind wir auf den Planenten alle eine Familie, wenn du so willst ... da sollte jeder auf jeden Rücksicht nehmen.

    "Tolle Menschen anziehen" - kann das etwa jeder selbst beeinflussen?

    Reisinger: Bis zu einem gewissen Grad ja. Mir hilft es, ein klares "Warum" im Leben zu definieren, welches ich unbedingt positiv formuliere. Ich glaube, wenn du dein "Warum" kennst, ziehst du das an, was du manifestierst. Ich bin das beste Beispiel: Ich hatte immer ein klares "Warum" vor Augen. Und obwohl ich auf meinem Weg viele Herausforderungen meistern musste, habe ich eine gute Richtung eingeschlagen. Dorthin, wo ich immer hin wollte. Ich wollte auch immer eine tolle Frau haben, und ich habe eine tolle Frau. Das muss ich jetzt sagen, weil sie mir gegenübersitzt (lacht). Aber Spaß beiseite: Ich verfolge meine eigenen Ziele und nicht die, die mir anerzogen wurden.

    Eine Botschaft, die Sie auch den Zuschauern vermitteln wollen?

    Reisigner: Unter anderem. Ich will als Teil eines Teams den Menschen auch den Freitagabend versüßen und gut unterhalten. Das Feedback, das ich bekomme, beweist: Das ist mir gelungen. Ist es nicht schön, wenn die ganze Familie vom Fernseher sitzt, einen Film guckt und sich freut? Wir sind früher beispielsweise nicht in die Disco gegangen, ohne zuvor beherzt die "Rudi-Carrell-Show" zu gucken.

    Sie sind seit rund 20 Jahren glücklich verliebt und haben eine eigene Familie. Wie lässt sich das alles mit Ihrem Job vereinbaren?

    Reisinger: Ich habe wirklich viele Standbeine. Kürzlich war ich bei einem Klassentreffen. Als ich an der Reihe war zu erzählen, dachte ich kurz: Oh Gott, wo soll ich nur anfangen? Ich arbeite auf der Wiesn, ich habe drei Kinder, ich bin Schauspieler, ich spiele in einer Band, ich war für längere Zeit in Australien und Thailand, ich war Animateur und habe gerade ein Buch geschrieben. Was für den einen oder anderen nach Stress klingt, ist für mich genau das Richtige. Ich wollte nie ein eintöniges Leben. Ich wollte immer Action und Abwechslung. Ich wachse an jeder dieser Erfahrungen und vertraue darauf, dass alles einen Sinn hat. So gehe ich leichter durchs Leben.

    Mit so viel Baustellen gleichzeitig?

    Reisinger: Ich würde nicht von Baustellen, sondern von Leidenschaften sprechen. Ein gewisses Arbeitspensum gehört da eben dazu.

     

    Aber unbedingt angewiesen sind Sie als erfolgreicher Schauspieler am Freitagabend im Ersten doch wohl nicht auf die anderen Standbeine?

    Reisinger: In Zeiten, in denen es der Filmbranche nicht so gut geht, ist es nie verkehrt, andere Talente zu haben. Außerdem glaube ich, dass jeder von Zeit zu Zeit eine Durststrecke braucht, um sich neu zu orientieren. Ich glaube, das Universum wirft mir zur richtigen Zeit die richtigen Herausforderungen zu. Natürlich spiele ich lieber als zu kellnern. Aber wenn die Aufträge ausbleiben, muss ich kreativ werden, um mich um meine Familie zu kümmern. Dann nehme ich den Kellnerjob gerne an, denn auch das macht mir Spaß. Schließlich arbeite ich schon seit 20 Jahren auf dem Großmarkt und in der Gastronomie.

    Und da finden Sie noch Zeit zum Schreiben?

    Reisinger: Das Erlebte hat mich sogar zu meiner Geschichte inspiriert. Aber ich will noch nicht zu viel verraten. Die große Welle rollt dann erst kurz vor dem Erscheinungstermin am 11. September durch die Medien. Ich erlaube mir, groß zu denken.

    Woher die Zuversicht?

    Reisinger: Ich kann mich auf tolle Zitate und Meinungen von Schauspielern verlassen, die ich nicht einmal bestechen musste (lacht). Außerdem stehe ich hundertprozentig hinter dem Buch und bin einfach begeistert. Im zarten Alter von 19 Jahren bin ich nach meinem Zivildienst Rettungswagen gefahren. In dieser Zeit kam ein Freund auf mich zu mit der Idee, mich als Fahrer für den kleinen Gemüsetransport seiner Frau einzusetzen. Dann bin ich damals eben Lkw gefahren und habe auf der Wiesn gearbeitet. Während dieser Zeit habe ich so viel erlebt und so viele verschiedene Menschen kennengelernt - da keimte eine Idee für mein Debüt als Autor in mir. Die Geschichte trage ich nun schon seit elf Jahren mit mir rum.

    Was war der ausschlaggebende Punkt, dass Sie die Geschichte nun mit der Welt teilen?

    Reisinger: Eigentlich hatte ich das alles immer als Serie geplant. Aber keiner der Sender sprang darauf an. Für eine Verfilmung hat es nicht gereicht. Noch nicht (lacht). Durch eine glückliche Fügung kam schließlich der Heyne Verlag auf mich zu. Das war der Hammer. Mein Buch ist echt. Ich bin echt. Meine Frau meinte immer zu mir: "Du musst das machen, und zwar nur du". Und ich habe die Struktur niedergeschrieben - ohne Einfluss eines Redakteurs oder jemanden, der nur glaubt zu wissen, wie meine Geschichte funktioniert. Ich traf die Entscheidungen.

    Gibt es denn zukünftige Projekte, auf die Sie sich besonders freuen?

    Reisinger: Ich freue mich besonders auf meine große Lesereise. Außerdem hat mir der Verlag schon vor dem Erscheinungstermin von "Bavarese" einen Vertrag für das zweite Buch angeboten. Scheinbar ist das Autorsein genau meins. Ich wollte schon immer schöpferisch arbeiten. Ich liebe es, Geschichten zu kreieren und zu verantworten.

    Woher nehmen Sie Ihr Selbstbewusstsein, Ihre innere Ruhe?

    Reisinger: Aus dem Leben. Ich spüre die Energien der anderen sehr gut. Wenn ich in eine Sackgasse gerate, macht mich das stärker für die nächste Situation. Lösungsorientiertes und gemeinschaftliches Denken ist das A und O. Schon mein Vater wollte immer zuerst die andere Seite hören. In unserer Familie hieß es nie: Ich bin der gute Sohn, der nichts getan hat, und der andere ist der Böse. Mein Papa hat immer erst nach der Ursache des Konflikts gefragt, bevor er ein Urteil fällte. Es würde unserer Gesellschaft nicht schaden, wenn jeder so durchs Leben ginge. Ich definiere klar meine Ziele und erreiche sie zum Wohle aller.

    Sie verspüren nie Neid, Hilflosigkeit oder Unsicherheit?

    Reisinger: Ich versuche diese Gefühle schnell umzuwandeln. Natürlich gibt es Situationen, in denen ich mich zunächst so fühle. Es gibt Veranstaltungen oder Projekte, an denen fast alle bayerischen Schauspieler beteiligt sind. Da frage ich mich natürlich: Warum bin ich da nicht dabei? Aber ich versuche immer, mich nicht im Groll oder Neid zu verlieren. Ich gönne es den anderen von Herzen und besinne mich auf das, was ich habe.

    Kommt es für Sie als gebürtigen Bayer, der in Bayern lebt, infrage, für eine Rolle mehrere Monate beispielsweise nach Hamburg oder ins Ausland zu gehen?

    Reisinger: Aber natürlich! Meine Frau ist auch Feuer und Flamme. Als wir mit dem "Traumschiff" in Namibia waren, hat sie direkt gesagt: "Mei, da fahr ma alle mit". Meine Familie und ich sind schon sehr reisefreudig. Meine Frau ist in ihrer Arbeitsweise zum Glück sehr flexibel, da finden wir schon eine Lösung. Ich lerne gerne neue Orte kennen, weil ich dadurch meine Heimat wieder mehr schätzen lerne. Mein Heimatgefühl ist schon sehr mit dem bayerischen Oberland verbunden.

    Interview: Teleschau