Im neuen deutsch-polnischen "Polizeiruf" dreht sich alles um "Wasserwege": Nach dem rätselhaften Tod einer Studentin ermittelt das brandenburgische Team in abermals neuer Konstellation rund um Hafen, Kanal und ein beeindruckendes Schiffshebewerk.
Wer mit wem wo ermittelt, ist in vielen deutschen Krimiregionen gesetzt. Von Münster bis München kann man sich seit Jahren auf altbekannte Gesichter verlassen. Nicht so im deutsch-polnischen "Polizeiruf 110: Wasserwege" (So, 13. Oktober, 20.15 Uhr im Ersten), wo das Kommissarskarussell seit dem Weggang von Lucas Gregorowicz alias Adam Raczek munter rotiert. Immerhin hat man sich an der Oder nun auf ein festes Ermittlerteam geeinigt - nur an den Konstellationen wird noch herumprobiert. Und so kommt es, wie schon in den letzten beiden Folgen, im neuen Fall "Wasserwege" abermals zu einer Premiere: Erstmals ermitteln Vincent Ross (André Kaczmarczyk) und Karl Rogov (Frank Leo Schröder) als Duo gemeinsam - ohne die Dritte im Bunde Alexandra Luschke (Gisa Flake), die dem brandenburgischen "Polizeiruf" zuletzt ihren unterhaltsamen Stempel aufgedrückt hatte. In ihrer Abwesenheit kommt der aktuelle Mordfall zwar etwas gemächlicher daher, entwickelt aber zwischen Kanälen, Häfen und einem eindrücklichen Schiffshebewerk bald seinen eigenen Reiz.
Eine polnische Studentin von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde wird am Finowkanal tot in einem Kanu gefunden. Die Spur entlang der wichtigen alten Wasserstraße, die Berlin mit Stettin und der Ostsee verbindet, führt die Kommissare zum örtlichen Kanuklub, wo die junge Frau namens Sara Osiecka am Tatabend auf dem Geburtstag ihres Professors eingeladen war.
"Feiern Sie öfter mit Ihren Studentinnen?", fragen die Ermittler den zwielichtig ins Drehbuch geschriebenen Milan Günschow (Robert Kuchenbuch). - "Ich schaffe Kommunikationsplattformen", antwortet der Dozent, der zudem einen nicht minder verdächtig wirkenden Bruder (Wanja Mues) hat, der nicht studieren durfte und deshalb im schön düster inszenierten Hafen schuftet. Wirklich verstehen tun sich die Brüder nicht ("Sozialkrüppel!"). Aber liefert das etwas gewollt inszenierte geschwisterliche Sozialgefälle wirklich einen Hinweis zur Aufklärung des Falls?
Fast jeder verhält sich in dem ziemlich konventionell inszenierten Krimi, der von Befragung zu Befragung eilt, irgendwie verdächtig. So auch des Opfers Mitbewohner und Ex-Freund Daniel Beck (Dominikus Weileder), der sich ein wenig zu theatralisch die Augen ausheult, aber immerhin ein paar Insights liefert: etwa, dass Sara sich vor allem ihrer Masterarbeit zu den - Überraschung! - Wasserstraßen um Eberswalde widmete; aber auch, dass sie vor drei Jahren ihren Bruder wegen einer Überdosis Drogen verlor. Wobei das Opfer noch mehr Rätsel aufgibt: Zwischen Kokainspuren, Kanus und Kameraaufnahmen, mit denen sie den Hafen überwachte, bleibt lange im Dunkeln, ob und wie die losen Enden des Krimis miteinander zusammenhängen.
Glücklicherweise kann die sympathische Wasserschutzpolizistin Gunde Johannsen (Petra van de Voort) weiterhelfen. Mit ihrer Unterstützung finden die Kommissare am tatsächlich eindrücklichen Schiffshebewerk heraus, dass sich die Tat dort nahe des Oder-Havel-Kanals ereignete. Doch wurde die Leiche nun über Land oder zu Wasser zum Fundort gebracht?
Das zu später Stunde kaum genutzte Schiffshebewerk jedenfalls wurde in der Tatnacht zuletzt vom Binnenfrachtschiff der Schwestern Lena (Jana Julia Roth) und Isabelle Thiele (Sophie Pfenningstorf) angefahren, die regelmäßig zwischen Berlin und Stettin pendeln, aber nichts gesehen haben wollen. "Es ist selten, dass zwei Frauen die Eigner sind", erfährt der Zuschauer immerhin im auch sonst überaus lehrreichen "Polizeiruf". Wer schon immer etwas über die unglaubliche Technik des Schiffehebens und andere nautische Details der Binnnenschifffahrt und ihrer Häfen erfahren wollte, ist mit diesem Film gut bedient.
Eine gigantischere Kulisse (Rogov: "Ist schon irre") kann man sich für einen Sonntagabendkrimi kaum ausdenken: Das Schiffshebewerk Niederfinow beeindruckt schon durch seine schieren Ausmaße und die Tatsache, dass es täglich Hunderte große Schiffe abfertigt. Vor allem aber, weil gleich zwei der Bauwerke direkt nebeneinander stehen: Das 1934 in Betrieb genommene und älteste Schiffshebewerk Deutschlands einerseits; und andererseits das 2022 eröffnete und mit modernster Technik ausgestattete neue Hebewerk. Es wundert kaum, dass beide in der zumal schönen Landschaft um die Alte Oder als touristische Attraktion gelten. Dass es nicht zuvor zum Schauplatz von TV-Verbrechen wurde, hingegen schon.
"Nach den schwierigen Jahren der Nachwendezeit hat sich die Stadt super entwickelt", kommentiert Produzent Frank Schmuck die Drehorte um Eberswalde: "Fast schon symbolisch stehen dafür die beiden grandiosen Hebewerke." Wie herausfordernd es war, im Umfeld des Industriedenkmals zu drehen, beschreibt Regisseur Felix Schmuck: "Es fängt an zu regnen? Egal, drehen! Jetzt schneit es? Egal, drehen! Jetzt ist ein anderes Schiff im Hebewerk? Mist ..., das wirft uns um 45 Minuten zurück. Man hat einfach nie genug Zeit." Glücklicherweise gelangen die Schiffs- und Hafenaufnahmen so gut, dass sie zu den Highlights eines sonst eher dahinplätschernden Krimis gehören. Sie liefern mit obligatorischen Kränen und abgewrackten Containern eine sehenswerte Industrie-Kulisse, vor der sich in bester Thrillermanier Matrosen und Unterwelt begegnen können.
Und die neue Konstellation der Kommissare? Sie funktioniert, weil ihre Gegensätze so stark sind: Rogov, der etwas naive Oldie, eilt als liebenswerter Einsiedler dem etwas arrogant wirkenden Großstädter Ross ("Berlin - die Hauptstadt der Abgründe") immer ein wenig hinterher. Und während sich beide langsam besser kennenlernen, erhalten auch die Zuschauer Einblick in ihr Privatleben: Der junge queere Kommissar, der laufend gendert und Kajal trägt, flirtet im fortgesponnenen Running Gag ("Hallo, mein Lieber") weiterhin recht offensichtlich mit seinem polnischen Kollegen Wiktor Krol (Klaudiusz Kaufmann). Derweil nähert sich der etwas altbackene Rogov, dessen Ex-Frau noch in Eberswalde lebt, der Wasserschutzpolizistin Gunde langsam an.
Die wiederum ist aus Dänemark nach Brandenburg geflohen, um sich nach Krankheit und Trennung ein neues Leben aufzubauen ("Es gibt hier weniger Verbrechen" - "Zumindest auf dem Wasser"). Dass sie für eine Nebenfigur vergleichsweise ausführlich eingeführt wird, lässt auf ein Wiedersehen (und auf eine Traumschiff-Lovestory?) hoffen. Im deutsch-polnischen Ermittlerkarrussell ist jedenfalls noch Platz - vor allem für eine Polizistin, die so schöne Sätze sagt: "Das ist das Gute an einem Kanal - man muss nur warten, und sie kommen alle wieder vorbei".