Mit 66 Jahren, nach zehn Filmen in ebenso vielen Jahren, macht Dagmar Manzel als Franken-Kommissarin Paula Ringelhahn Schluss. Im Interview zum "Tatort: Trotzdem" erzählt sie, wie schmerzlich sie oft im Leben das Gehen empfand - und warum ihr Abschiede dennoch so wichtig sind.
Dagmar Manzel macht als Franken-Kommissarin beim "Tatort" Schluss. Mit 66 Jahren zieht sich die Berlinerin freiwillig von der Rolle zurück. Fast zehn Jahre spielte sie Paula Ringelhahn ebenso leise und präzise wie so viele andere Rollen, hinter denen Manzel meist auf beeindruckende Weise verschwand. Dagmar Manzel, 1958 in Ostberlin geboren, war schon in der DDR eine bekannte Schauspielerin. Vor zehn Jahren machte die Charakterdarstellerin noch mal einen Karrieresprung: Sie wurde "Tatort"-Kommissarin an der Seite von Fabian Hinrichs im vom BR neu gegründeten Franken-Revier. Nun kann man sie im "Tatort: Trotzdem" (Sonntag, 6. Oktober, 20.15 Uhr, Das Erste) ein letztes Mal in der Rolle sehen - und wenige Tage zuvor (und danach in der ZDF-Mediathek) als legendäre DDR-Eiskunstlauftrainerin Jutta Müller im Film "Kati - Eine Kür, die bleibt" (Donnerstag, 3. Oktober, 20.15 Uhr, ZDF).
Zehn fränkische "Tatorte" in zehn Jahren - da haben Sie gesagt: eine schöne Zahl, da mache ich Schluss?
Dagmar Manzel: Es ist eine runde Zahl, aber sie war nicht Hauptgrund. Paula Ringelhahn und ich mit meinen 66 Jahren haben ja nun auch das Rentenalter erreicht. Es wäre ein bisschen affig, wenn ich in fünf Jahren - mit 70 - noch mit 'ner Knarre im "Tatort" rumrennen würde.
Es gibt andere Kommissare und Schauspieler, die haben damit keine Probleme ...
Dagmar Manzel: Das mag sein, aber ein bisschen kürzertreten wollte ich schon. Dazu kommt, dass ich noch mal eine neue Leidenschaft entdeckt habe: Ich führe Opern-Regie an der Komischen Oper Berlin, das macht mir sehr viel Spaß. Früher waren meine Sommer immer komplett dicht. Da haben wir ja den "Franken"-Tatort gedreht. Es war die spielfreie Zeit am Theater, wo ich nicht nur spiele, sondern auch singe und eben Regie führe. Ich habe also in meiner einzigen freien Zeit gedreht. Das wurde mir irgendwann zu viel. Ich möchte einsichtiger sein mit seinen Kräften. Auch wenn ich mich nicht immer an diese Art von Vernunft halte, ich versuche es wenigstens ...
Weil Sie nicht nur Schauspielerin, sondern auch Sängerin sind, singen Sie nun zum Abschied Ihrer "Tatort"-Rolle?
Dagmar Manzel (lacht): Das war nicht meine Idee, sondern die von unserem Autor und Regisseur Max Färberböck. Er ist der Erfinder des fränkischen "Tatorts" und hat die Reihe immer eng begleitet. Ich hatte Max gesagt, dass ich als Paula Ringelhahn weder erschossen werden noch verschwinden will. Das wäre mir zu melodramatisch gewesen. Ich wollte am liebsten in Rente gehen, so wie es die Menschen im echten Leben zu tun pflegen.
Und das passt auch zu Ihrer Figur?
Dagmar Manzel: Ja, ich finde schon. Paula Ringelhahn war unspektakulär in ihrer Art, ein zurückgenommener Mensch. So wollte ich sie auch gehen lassen. Da passt doch ein schöner Song-Klassiker wie "The Sound Of Silence" wunderbar. Max schlug mir ein paar Lieder vor und ich entschied mich für Simon & Garfunkel, weil das ist - unter anderem - meine Musik, die mich schon ein Leben lang begleitet.
Und wenn sie etwas Deutsches gesungen hätten - was hätten wir dann gehört?
Dagmar Manzel: Vielleicht ein Lied von Karat? Ich bin ja DDR-geprägt. Aber das hat sich nicht ergeben und ich finde die Szene schön auf die Art und Weise, wie sie nun geworden ist.
Fabian Hinrichs macht als Kommissar Felix Voss im "Tatort" weiter. Zwischen Ihren beiden Rollen hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Zwischen Ihnen als Schauspielern auch?
Dagmar Manzel: Ja, das kann man schon sagen.
Dann ist Ihr tatsächlicher Abschied genauso melancholisch wie der Ihrer Rolle?
Dagmar Manzel: Wenn man wie ich seit 45 Jahren Theater spielt, hat man schon eine Menge Abschiede hinter sich. Der Abschied gehört zum Beruf dazu wie das Spielen selbst. Wenn Sie wüssten, wie viele Inszenierungen ich schon verabschieden musste, die meine Lieblingsstücke waren: ich habe "Maria Stuart" - einhundert Mal gespielt. "Offene Zweierbeziehung", das waren 250 Vorstellungen. "Kiss Me Kate" - 75-mal. Alles Stücke, an denen ich sehr gehangen habe. Dennoch finde ich es gut, dass man Abschied nimmt. Egal, ob es ein Abschied von der Arbeit ist oder von Menschen, die man lieb gewonnen hat.
Wie meinen Sie das?
Dagmar Manzel: Abschiede gehören zum Leben dazu. Wir alle erleben Abschiede. Wenn sie einem verwehrt werden - auch dass musste ich schon ein paarmal erleben -, dann ist das richtig schlimm. An jenen Abschieden, die ich nicht vollziehen konnte, knabbere ich mein ganzes Leben dran. Deshalb finde ich es wichtig, mich aktiv zu verabschieden. Wer Abschied nimmt, kann auch etwas abgeben. Ich habe mich mehrmals vom "Tatort"-Team, von den Kollegen, der Produktion und auch von den Franken auf der Straße verabschiedet. Es hat mir sehr, sehr gutgetan.
Was mögen Sie an Abschieden?
Dagmar Manzel: Es ist nicht so, dass ich mich auf Abschiede freue. Ich brauche sie. Wer Abschiede nicht schätzt, hat das Leben nicht verstanden. Wenn ich mir bewusst mache, dass ich mich jeden Tag von Dingen verabschiede, dann lebe ich im Hier und Jetzt. Abschiede sind wichtig fürs Seelenheil. Wenn ich mich nicht verabschieden kann, ist das eine Qual. Zurück bleibt eine Trauer, die ich nie verliere.
Kennen sie den Truffaut-Film "Die amerikanische Nacht"? Man sagt, niemals wurde jene Melancholie und Traurigkeit besser eingefangen, wenn eine Filmcrew ihre intensive Zusammenarbeit am letzten Drehtag beendet ...
Dagmar Manzel: Ich kenne diesen Film, und er beschreibt dieses Gefühl sehr gut. Ich erinnere mich, als ich die ersten großen Film-Produktionen nach der Wende drehte: Wie sehr habe ich da gelitten habe, als sie vorbei waren: "Klemperer - Ein Leben in Deutschland", eine zwölfteilige Serie, da habe ich ein Jahr lang gedreht. "Der Laden", ein Dreiteiler, das war ein halbes Jahr. Man kommt sich menschlich derart nahe, wenn man so intensiv arbeitet - da kann man das Ende kaum fassen. Allein schon die vielen Stunden und intensiven Gespräche, die man in der Maske verbringt. Da erzählt man sich sehr persönliche, vertraute Dinge. Auf einmal kommt der letzte Drehtag - und dann ist alles weg. Ich bin damals nach jeder größeren Produktion in ein tiefes Loch gefallen. Es hat mir richtig zugesetzt.
Kann man das Leben mehr wertschätzen, wenn man sich Abschiede bewusst macht?
Dagmar Manzel: Jede markante Veränderung führt dazu, dass man das Leben mehr wertschätzt. Ich hatte Krebs und wusste nicht, ob ich den Kampf dagegen gewinnen würde. Und so drastisch eine solch schwere Krankheit ist: Sie führte natürlich dazu, dass ich das Leben heute mehr wertschätzen kann. Es gab zwei Menschen in meinem Leben, die ich sehr geliebt habe und von denen ich mich nicht verabschieden konnte - damit muss man dann leben. Man muss es aushalten. Gott sei Dank habe ich so einen wunderbaren Beruf, in dem ich all das verarbeiten kann: Sprachlosigkeit, Verzweiflung, Wut, Trauer, Sehnsucht. Für all diese Gefühle gibt es Szenen - und die waren oft meine Rettung.
Kommen wir zur Würdigung des "Franken"-Tatorts. Haben Sie unter Ihren zehn Filmen eine Lieblingsfolge?
Dagmar Manzel: Ich würde sagen, es sind drei. Zum einen die erste und diese letzte Folge, weil mich Max Färberböck so wunderbar eingeführt und nun verabschiedet hat. Beides hat er sehr klug und sensibel erzählt. Und dann gab es da noch die Folge "Wo ist Mike?", in der sich Paula Ringelhahn verliebt. Und zwar in eine Figur, die von Sylvester Groth gespielt wird. Sylvester und ich sind seit über 40 Jahren gut befreundet. Wir kennen uns seit der Schauspielschule. Regie führte damals Andreas Kleinert, mit dem ich damals "Klemperer" gemacht habe. "Wo ist Mike?" war für mich wie nach Hause kommen. Nach dem Motto: All die Abschiede waren ja doch nicht für immer, jetzt haben wir uns wieder (lacht).
Der Franken-"Tatort" ist stärker als andere Krimi-Standorte das Werk eines Kreativen, Max Färberböck. Er hat etliche Folgen geschrieben, gedreht und auch die Figuren erdacht. Was macht seine Filme aus?
Dagmar Manzel: Max möchte und kann das zutiefst Menschliche herausarbeiten. Bei seinen Filmen wird nicht so viel gesprochen wie sonst im deutschen Fernsehen. Da wird ja oft immer viel zu viel erklärt. Mit dem Ergebnis, dass die Gefühle hinter den Worten auf der Strecke bleiben. Max interessiert sich vor allem für die Psychologie der Täter, Opfer und Angehörigen. Ich kenne kaum jemanden, der so akribisch im deutschen Krimifernsehen arbeitet. Es lässt oft Szenen wiederholen. Solange, bis es für ihn stimmt und in einer Intensität, wie sie bei Fernsehdrehs unüblich sind. Da geht es oft nur darum, abzuliefern. Die Szenen sollen schnell im Kasten sein. Und dann wird man dafür gefeiert, dass man im Zeitplan geblieben ist. Aber das ist keine Kunst, es ist Management.
Ihr Abschiedsfilm "Trotzdem" ist ein bisschen wie eine griechische Tragödie: Menschen sehen sich dazu gezwungen, Rache auszuüben, obwohl man um die Tragik des eigenen Tuns weiß. Was gibt uns der Film mit auf den Weg?
Dagmar Manzel: In diesem "Tatort" sterben in der Tat viele Menschen. Sie haben gemeinsam, dass keiner von ihnen sterben oder jemanden umbringen wollte. Es sind die Umstände, Zufälle und gegeneinander gerichtete Emotionen, die sich nicht mehr einfangen lassen. Deshalb töten und sterben die Menschen. Der Film ist in der Tat wie eine griechische Tragödie.
Ist er auch ein Kommentar zur aktuellen Welt, in der man denken könnte: Wir Menschen wollen unsere Spezies gegen die Wand fahren?
Dagmar Manzel: Max äußert sich nie zur Idee seiner Filme. Das lässt er - auch intern mit der Filmcrew - gerne im Vagen. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass diese "Tatort"-Gewaltorgie ein Kommentar zu unserer Zeit ist. Wie ohnmächtig fühlen wir uns, wenn wir derzeit die Nachrichten schauen? Ich stelle mir oft die Frage, in welcher Welt meine Kinder und Enkelkinder leben oder aufwachsen. Überall herrschen Kriege und Konflikte, wir zerstören unsere Umwelt, und immer nur geht es ums Geld. Dabei wollen wir alle, fragt man jeden einzelnen Menschen, in Frieden und einer gesunden Welt leben. Das, was wir als Menschen wollen und jenes, was wir als Menschheit tun, widerspricht sich also komplett. Den Film könnte man als Analogie dieses Gedankens sehen - und läge damit wahrscheinlich nicht ganz falsch.