"Tatort" heute: Lannert und Bootz ziehen aufs Dorf

17.11.2024 um 15:00 Uhr
    "Tatort": Lannert und Bootz ziehen aufs Dorf | © SWR
    Emma Riedle (Irene Böhm), die jüngere Schwester der Toten, war sauer auf sie, weil Hannah sie alleine im Dorf zurückgelassen hatte. Thorsten Lannert (Richy Müller, links) und Sebastian Bootz (Felix Klare) kommen nur schwer an die Teenagerin heran. | ©SWR

    Die Stuttgarter Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) ermitteln im "Tatort: Lass sie gehen" (So, 16. November, 20.15 Uhr im Ersten) im Fall einer ermordeten jungen Joggerin. Sie war neu in der Stadt. Im Dorf, aus dem sie stammte, hinterließ sie Frust und Begehrlichkeiten. Die Ermittler mieten sich auf dem Land ein.

    Hanna (in Rückblenden: Mia Rainprechter) ist tot. Die junge Joggerin wird ermordet in einem Stuttgarter Gebüsch in Flussnähe gefunden. Bekleidet ist sie mit einem T-Shirt von einem Lauf-Event in Waldingen, dem Heimatdorf des Opfers auf der Schwäbischen Alb. Hanna war erst vor kurzem in die Stadt gezogen. Die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) fahren im "Tatort: Lass sie gehen" nach Waldingen, um den Hinterbliebenen die traurige Nachricht zu überbringen - und das Umfeld der Toten zu durchleuchten.

    Die Eltern, Hannes Riedle (Moritz Führmann) und seine Frau Luise (Julika Jenkins), betreiben das Wirtshaus im Dorf. Außerdem hatte Hanna noch eine jüngere Schwester. Auch Emma Riedle (Irene Böhm) widmet sich dem Laufsport. Fast scheint es, als wollten die Schwestern so der Enge ihres Lebens entfliehen.

    Die Stuttgarter Ermittler stellen fest, dass Hannas Weggang bei den Zurückgelassenen Trauer, Frust und Wut ausgelöst hat. Die Mutter sprach nicht mehr mit der Tochter, auch die kleine Schwester war offenbar sauer. Eher traurig, aber mit Wutpotenzial auf den zweiten Blick ausgestattet, wirkt der Gewichte pumpende Ex-Verlobte der Toten, Martin Gmähle (Sebastian Fritz). Der Arbeiter aus der örtlichen Fabrik hatte die gemeinsame Wohnung zwecks Ehe schon eingerichtet. Tat die freiheitsliebende Hanna den Dörflern so sehr weh, dass sie es mit dem Leben bezahlen musste?

    Kein klassisches Land-Bashing

    Dass die Ermittler des sonst eher städtisch geprägten "Tatort"-Krimis ab und an aufs Land umziehen, um andere Lebensszenarien zu bespielen, ist nichts Neues. Ein anderes Team des SWR, die Freiburger Tobler und Berg, taten dies zuletzt 2023 in der Folge "Unten im Tal". Auch da ging es um den Mord an einer jungen Frau vom Dorf, deren Eltern ein Wirtshaus betrieben. Keine Frage, der Flächenstaat Baden-Württemberg hat Landleben satt zu bieten.

    Das fiktive Waldingen auf der Schwäbischen Alb gerät in diesem Krimi zu einem ziemlich dunklen, in Traditionen erstarrenden Ort. Bei dessen spürbar beklemmender Zeichnung durch die Kreativen Norbert Baumgarten (Buch) und Andreas Kleinert (Regie) kann man es der ermordeten Hanna nicht verdenken, dass sie Reißaus genommen hat. Dennoch betreiben die Macher des Krimis kein Land-Bashing. Dafür sind die Figuren, übrigens allesamt exzellent gespielt, zu facettenreich und ihre Charaktere zu sehr von Widersprüchen geprägt, als dass an dieser Stelle mit der "Red Flag" gegen besonders nervige Krimiklischees gewedelt werden müsste.

    Ein Beispiel gefällig? Den Vater der Toten, gespielt von Moritz Führmann, nimmt man zunächst als traditionellen Wirt mit Tischgebet im dunkel holzgetäfelten Mobiliar wahr. Als die Tochter jedoch nicht nur an die Stadt verloren, sondern für immer fort ist - verarbeitet Hannes Riedle den Tod mit hartem Alkohol und brüllend lautem Punkrock-Pogo in der eigenen Gaststätte - nach Ladenschluss. Eine großartige Szene.

    Dass der neue Stuttgart-Fall mit wenig Stuttgart im Bild so gut geworden ist, liegt neben dem bärenstarken Ensemble mit zahlreichen eher unbekannten Gesichtern am Kreativteam Baumgarten und Kleinert. Autor Norbert Baumgarten hat zuletzt für Dominik Graf den wundervollen Liebesfilm "Gesicht der Erinnerung" mit Verena Altenberger verfasst und für Andreas Kleinert das hochgelobte Erotik-Drama "Sag mir nichts" mit Ursina Lardi und Ronald Zehfeld.

    Lannert im Fremdenzimmer

    Regisseur Andreas Kleinert (Deutscher Filmpreis für "Lieber Thomas") hievt mit seinen Ausflügen zum "Tatort" mit fast jedem Film die Reihe auf ein höheres Level. Allein schon durch seine kluge, äußerst hochwertige Bildsprache. Zuletzt hatte Kleinert im März 2024 den exzellenten Kieler Fall "Borowski und der Wiedergänger" inszeniert. Doch zurück zur Handlung: Lannert, der vorübergehend im Gasthof der Riedles einzieht und dort ein Fremdenzimmer (!) anmietet, taucht noch etwas tiefer ins Landleben ein, während er Bootz - ziemlich widerwillig - seinen geliebten Porsche fürs Stadtleben und das Pendeln auf die Alb überlässt.

    Weil die Nachforschungen der beiden zu Hannas Leben auch in Stuttgart weitergehen, wo die junge Frau offenbar euphorisiert ein neues Leben begonnen hatte, kann man in diesem exzellenten Stuttgarter Fall auch ein bisschen das Lebensgefühl der Stadt mit dem auf dem Land vergleichen. Vor allem jenes junger Frauen, die "mehr" wollen. Auch wenn es zu diesem Film wahrscheinlich Proteste von Landbewohnern geben wird, die sich dem Hinterwäldler-Klischee ausgesetzt sehen: Die Unterschiede zweier Lebens-Vibes des Aufwachsens sind im "Tatort: Lass sie gehen" schon ziemlich greifbar und auch emotional nachvollziehbar. Es ist einer der besten Stuttgarter Krimis seit längerer Zeit. Quelle: teleschau