TV-Filme mit Adele Neuhauser" bieten meist beste Unterhaltung und dazu noch ganz viel Haltung. Nun hat Regisseur Uli Brée, der für Adele Neuhauser die ORF-"Tatort"-Kommissarin Bibi Fellner erfand, der 65-Jähirgen eine neue Filmrolle auf den Leib geschrieben, in sie abermals komplett überzeugt.
In der ARD-Tragikomödie "Ungeschminkt" (am Mittwoch, 13. November, um 20.15 Uhr, im Ersten) verkörpert die Schauspielerin Josefa, die früher Josef hieß. Das Besondere daran: Erzählt wird die berührende Geschichte auch aus Sicht derer, die damit hadern, dass Josefa ihr Leben als Mann radikal hinter sich gelassen hat. Im Interview spricht Adele Neuhauser über den Reiz ihrer Rolle, ihre Suizidversuche und den Abschied vom „Tatort“.
Ein Interview von HÖRZU-Chefreporter Mike Powelz
Adele Neuhauser, wurden Sie für die vielschichtige Rolle der Josefa, die vor 40 Jahren noch ein Mann namens Josef war, gecastet? Oder wurde Ihnen die Rolle angeboten?
Adele Neuhauser: Ich habe das große Glück, dass die Produzentin Anna Oeller von der Bavaria Fiction und die Redakteurin Claudia Simionescu vom Bayerischen Rundfunk, gemeinsam mit dem Autor Uli Brée diese großartige Rolle für mich entwickelt haben. . Das ist ein großes Privileg. Nach „Faltenfrei“, ebenfalls einer Zusammenarbeit mit Uli Brée, ist „Ungeschminkt“ erneut ein ganz besonderes Buch für mich gewesen. Es hat mich vom ersten Moment an verzaubert – weil es in der Geschichte nicht nur darum geht, dass ich eine trans* Frau spiele, sondern vielmehr auch noch darum, dass wir irgendwann die Erkenntnis gewinnen, dass wir uns, sowie anderen verzeihen müssen – egal, welche Umwege oder Leidenswege wir zuvor erfahren haben.
Aber was hat Sie konkret an der Geschichte gereizt?
Adele Neuhauser: Josefas Biografie. Vor vierzig Jahren, als sie noch Josef hieß, hat sie schon immer gewusst, dass sie eine Frau ist, was ihre Umgebung – und vor allem ihr Vater – aber nicht verstanden haben. Nach einem tragischen Unfall, der sich im Affekt ereignete, sah sie sich gezwungen, ihr Haus und ihr Heimatdorf zu verlassen. Jetzt kehrt sie nach Jahrzehnten heim, stellt sich der Vergangenheit erneut und lernt, sich mit der Gegenwart zu arrangieren. Begeistert hat mich tatsächlich vor allem die Kernbotschaft, dass wir alle erkennen müssen, dass Verletzungen, die wir uns gegenseitig zugefügt haben aufgearbeitet werden sollten, um eine gemeinsame Zukunft zu ermöglichen. Der aktuelle, schlimme Zustand der Welt zeigt uns ja wohin uns Inakzeptanz, Intoleranz und das Unvermögen zur Vergebung führen.
Wie haben Sie sich auf die vielfältigen, psychologischen Aspekte der Figur vorbereitet? Haben sie sich beispielsweise Wissen über Trans*Menschen angeeignet, indem Sie sich Filme darüber angeschaut – und Bücher zu dem Thema gelesen – haben? Und haben Sie mit trans* Menschen geredet?
Adele Neuhauser: Ja, um mit großer Empathie und Leidenschaft an die Geschichte herangehen zu können habe ich mir beispielsweise Dokumentationen angeschaut, mit mehreren rans*Menschen gesprochen und viel über das Thema gelesen. All dieses Material hat mir dabei geholfen, mich körperlich und geistig auf die Geschichte vollends einzulassen.
Was sind aus Ihrer Sicht die schwersten Hürden und Probleme von trans*Menschen? Traumata der Kindheit, Diskriminierung, Gewalt, Schaulust und Vorurteile – oder doch eher bzw. zusätzlich die körperlichen und medizinischen Probleme während des Transformationsprozesses?
Adele Neuhauser: Alles, was wir an unserem Körper verändern, hat psychische Folgen, die man überwinden muss. Doch im Gegenteil zu Schönheits-OP’s, für die sich viele Menschen aufgrund des ganzen Schönheitswahns in eine Uniformität begeben – weil sie am Ende dann doch alle gleich ausschauen – ist der Prozess, den trans* Menschen durchlaufen, ein völlig anderer. Denn die Gewissheit, dass man sich in seinem Körper nicht zuhause fühlt, ist natürlich nicht leicht zu akzeptieren – und der anschließende Prozess obendrein nochmal schwieriger. Durch die Gespräche, die ich geführt habe, bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass der eigentliche Glücksprozess erst in dem Moment anfängt, indem die Angleichung beginnt – weil sich die Menschen erst ab dem Punkt wieder auf dem richtigen Weg fühlen. Aber natürlich haben mir auch alle gleichermaßen berichtet, dass der Prozess körperlich sehr schmerzlich und herausfordernd ist – wobei die Freude jedoch überwiegt, weil der Wunsch und die Sehnsucht so groß sind, dass man sie akzeptieren muss und man dafür sogar Aggressionen von außen in Kauf nimmt. Jeder, der aggressiv auf trans* Menschen reagiert, sollte sich lieber mal bewusst machen, dass dieses Verhalten letztlich eine Reaktion auf seine eigene Angst vor dem Unbekannten ist, mit dem wir schlichtweg nicht umgehen können. Ich würde mich sehr freuen, wenn unser Film „Ungeschminkt“ diesbezüglich zu einer Einsicht beiträgt.
Heißt das, Ihr Film will auch einen Denkanstoß geben?
Adele Neuhauser: Natürlich – das ist ja der Punkt! „Ungeschminkt“ betont, dass alle – auch die Menschen um Josefa herum – in gewisser Weise Verletzungen erfahren haben und sie wiederum anderen Menschen zufügen. Denn jeder, von Josefas früherer Frau Petra bis zu ihrem Freund Blume, der sich von Josefa nicht ernst genommen fühlte, hat durch die Geschichte der Hauptfigur ebenfalls Brüche in seiner Biografie erlebt. Zusammengenommen stehen hinter den Geschichten dieser Menschen viele verschiedene Schicksale und Gefühle, die erst nach 40 Jahren – mit Josefas Rückkehr in ihr Heimatdorf – besprochen und aufgearbeitet werden. Deshalb lautet die Botschaft des Films auch, dass wir für alles, was wir getan haben, irgendwann eine Art Rechnung bekommen – und dann den Umgang damit lernen sollten.
Ein zerbrechlicher Mensch wie Josef muss in seiner Jugend und somit in seiner Findungsphase eine unglaublich große Resilienz gehabt haben, um sein Leben nicht zu beenden. Kennen Sie dieses Gefühl aus Ihrer eigenen Jugend, in der sie einige Suizidversuche unternahmen? Warum hatten Sie das damals versucht?
Adele Neuhauser: Ja, meine eigene Geschichte hat mich tatsächlich mit viel Empathie ausgestattet. Denn in meinen sehr jungen Jahren – und auch später noch ziemlich lange – haben mich Angst und Wut und Verzweiflung begleitet. Rückblickend waren es Erfahrungen, die mich auf eine Art und Weise aufgeladen haben, dass ich aus ihnen schöpfen kann. Was meine damaligen Beweggründe betrifft habe ich lange geforscht. Höchstwahrscheinlich war der Beweggrund die Trennung meiner Eltern – und dass ich das Gefühl hatte, damals Schuld auf mich geladen zu haben, weil ich mich gegen meine Mutter und stattdessen für meinen Vater ausgesprochen hatte. Das Gefühl, ihr durch meine Entscheidung bei meinem Vater bleiben zu wollen unbeabsichtigt Leid zugefügt zu haben, hat mich in einen Konflikt gestürzt. Bei meinem ersten Suizidversuch war ich erst zehn Jahre alt. Die anderen Versuche waren eher eine Selbstverletzung. Und gleichzeitig auch eine Art von Mutprobe.
Wenn ich damals bereits eine Therapie gemacht hätte, wäre ich wahrscheinlich viel schneller durch diese ganz dunkle Phase meines Lebens gekommen. Aber genau das ist ja der Punkt: In jungen Jahren sind wir mit unserer Selbstfindung konfrontiert, versuchen uns zu positionieren – aber bekommen noch mehr Schwierigkeiten, wenn unser Umfeld instabil ist. Inzwischen bin ich froh, nicht mehr jung sein zu müssen – angesichts der Welt, wie sie sich jetzt gestaltet. Heutzutage ist es für Jugendliche wirklich verdammt schwer, gute Nerven zu bewahren und hoffnungsvoll in die Welt zu blicken. Auch insofern ist unser Film „Ungeschminkt“ sehr heilsam – weil er ein Plädoyer dafür ist, sich gegenseitig zuzuhören, füreinander da zu sein und einen gemeinsam Weg in die Zukunft zu finden .
Einerseits werden die Rechte von Transmenschen politisch momentan gestärkt, andererseits gibt es auch gewichtige Stimmen von Menschen aus der Öffentlichkeit – etwa Joanne K. Rowling – die scharf gegen sie schießen. Rowling etwa bezeichnet Transfrauen als „Männer in Frauenkleidung“. Bewegen wir uns trotzdem insgesamt in die richtige Richtung von Akzeptanz und Antidiskriminierung?
Adele Neuhauser: Zum Glück ja. Bei solchen Themen geht es um eine offenere, empathischere, freiere Gesellschaft. Und was deren Verwirklichung betrifft sind wir schon auf einem ganz guten Weg.
Gibt es vielschichtige Rollen wie die der Josefa trotzdem noch viel zu selten?
Adele Neuhauser: Ja, leider mangelt es daran. Aber umso mehr habe ich mich gefreut, dass wir jetzt ein Thema behandeln, dass viele Menschen leider immer noch respektlos als „Modethema“ bezeichnen.
Schlussfrage: Momentan verlassen viele Schauspielerinnen und Schauspieler den „Tatort“. Denken Sie auch schon manchmal über Ihren Abschied von der Reihe nach – oder werden Sie als Bibi noch viele weitere Jahre auf Mörderjagd gehen? Und haben sie schon den Zeitpunkt für Ihren Ausstieg im Kopf?
Adele Neuhauser: Ich bin 65, natürlich denke ich da generell ab und zu darüber nach, wie alles weitergehen soll und wie ich starke und herausfordernde Rollen auch künftig meistern kann. Aber das sind eher allgemeine Gedanken. Nein, über den Ausstieg aus dem „Tatort“ denke ich momentan noch nicht nach .