TV-Doku über Haribo entlarvt das Geheimnis der Gummibärchen

19.07.2024 um 15:15 Uhr
    Ein HARIBO-Store in Bonn. | © Imago Ein HARIBO-Store in Bonn. | ©Imago

    Die neue ZDF-Doku „Die Wahrheit über Haribo“ zeigt, wie der deutsche Süßwarenhersteller Haribo die Welt eroberte – und dennoch immer wieder in der Kritik steht. Die Süßigkeiten werden in über 100 Ländern verkauft, aber zu welchem Preis?

    Ein Artikel von HÖRZU Reporter Hendrik Thies

    Einen Sack Zucker, einen Herd, einen Kupferkessel, eine Walze – viel mehr brauchte Hans Riegel im Jahr 1920 nicht, um die ersten Fruchtgummis herzustellen. Als „Versuchslabor“ diente dem gelernten Bonbonmacher eine in die Jahre gekommene Hinterhofwaschküche im Bonner Stadtteil Kessenich. Gut 100 Jahre später zählt Riegels Firma Haribo zu den zehn größten Süßwarenherstellern der Welt. Der Name des Unternehmens leitet sich aus den Anfangsbuchstaben seines Vor- und Zunamens sowie des Ortes ab, in dem die deutsche Erfolgsgeschichte begann.

    Eine neue Doku (Fr, 19.Juli, 20.15 Uhr bei ZDFinfo) blickt jetzt zurück auf die Anfänge, den langen Weg zum Weltkonzern und die Herausforderungen, mit denen Haribo im Lauf der Jahrzehnte konfrontiert ist. Und natürlich auf das beliebteste Produkt im Sortiment: die Goldbären.

    Die verzücken ab 1922 die Gaumen der Nation – zunächst noch unter dem Namen „Tanzbären“. Mit fünf Zentimetern Länge muten sie größer und dünner an als heute. Zudem enthalten sie noch keine Gelatine, die aktuell für die elastische Konsistenz sorgt. Für zwei Stück müssen Naschkatzen damals einen Pfennig auf den Tresen legen. Unter ihnen ist auch ein extrem prominenter Fan: der ehemalige Kaiser Wilhelm II. Der Ex-Monarch, der seit 1918 im Exil in den Niederlanden lebt, soll sich die Tanzbären kistenweise bestellt haben – für ihn „das Beste, was die Weimarer Republik hervorgebracht hat“.

    Lakritzschnecken für die Soldaten an der Front

    Aufgrund des Erfolgs seiner Süßwaren, zu denen ab 1925 auch Lakritz gehört, wächst Hans Riegels Unternehmen rasch. Auf seine erste Mitarbeiterin, seine Gattin Gertrud, folgen Dutzende weitere Angestellte, die für Produktion, Verpacken und Ausliefern zuständig sind. Als während des Zweiten Weltkriegs viele Fabriken schließen oder auf Kriegswirtschaft umstellen müssen, darf Haribo weiterproduzieren: Die Lakritzschnecken der Firma werden als billig herzustellender und praktisch unverderblicher Sattmacher für die Soldaten an der Front gebraucht. Nach dem Krieg starten die Riegel Söhne Paul und Hans jr. einen Neuanfang und setzen die Süßwarenproduktion im Sinne ihres 1945 verstorbenen Vaters fort.

    Der 2013 verstorbene Hans Riegel jr. bei der Besichtigung der Produktion in Bonn 1989. 

    In den darauffolgenden Jahrzehnten erweitert Haribo das Sortiment und expandiert ins Ausland. Heute arbeiten über 7000 Mitarbeiter an 16 Produktionsstandorten weltweit. 1960 erhielten die Gummibärchen ganz offiziell den Namen Goldbären, den sich der Konzern wenige Jahre später patentieren ließ. „In jedem Marktsegment gibt es ein Original. Und Fruchtgummis werden bis heute als Erstes mit den Haribo-Bären assoziiert. Sie bilden den Markenkern und stehen auch für die Sympathie der Marke“, erklärt Prof. Andreas Baetzgen, Experte für Wirtschaftskommunikation, in der ZDF-Doku.

    Ein Konzern in der Kritik

    Auch wenn die Zutatenliste auf jeder Tüte einsehbar ist, macht Haribo seit jeher ein Geheimnis um seine genauen Rezepturen. Fabrikbesichtigungen für Pressevertreter gibt es keine. Klar ist, dass 100 Gramm Bären zu 46 Gramm aus purem Zucker bestehen. Die umstrittene Zutat Gelatine, die aus Schweineschwarte gewonnen wird, macht die Fruchtgummis für Vegetarier und Veganer tabu. Zudem berichtet die Doku von Fällen, in denen bei Haribos Zulieferern die Tiere misshandelt und unter widrigen Bedingungen gehalten wurden. Tierschützer vermissen bei Haribo Transparenz und den Willen zur Aufklärung. Damit die Goldbären so schön glänzen, kommt ein pflanzliches Carnaubawachs zum Einsatz, das in Brasilien gewonnen wird.

    Allein 160 Millionen Goldbären werden täglich weltweit hergestellt.

    Erst als öffentlich wird, dass Arbeiter dort unter sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen schuften, kündigt Haribo an, in Zukunft auf die Zutat verzichten zu wollen, und stellt auf Bienenwachs und Sonnenblumenöl um. 2020 wiederum sorgte eine Werkschließung im sächsischen WilkauHaßlau für Unmut, weil Haribo verstärkt auf Produktionsstätten im Ausland setzt. All das kratzt am Image einer Firma, die in der Öffentlichkeit positiv, bunt und kindernah wahrgenommen werden will. Der eingängige Werbeslogan „Haribo macht Kinder froh“ existiert bereits seit 1935, wird 1962 um den Zusatz „und Erwachsene ebenso“ ergänzt und später in mehr als 22 Sprachen übersetzt. „Als das Werbefernsehen aufkam, gehörte es für eine große Marke wie Haribo zum guten Ton, ganz vorn mit dabei zu sein“, sagt Kommunikationsforscher Baetzgen. Laut einer Umfrage des Senders Kabel 1 ist der gesungene Haribo-Slogan der bekannteste Werbespruch Deutschlands.

    Thomas Gottschalk war von 1991 bis 2015 das Werbegesicht von Haribo.

    Die Marke selbst ist laut Unternehmensangaben 99 Prozent aller Deutschen ein Begriff. Anteil daran hat auch Thomas Gottschalk, der von 1991 bis 2015 das Werbegesicht von Haribo ist und in 260 TV-Spots auftritt. Die Kooperation gilt als längste Werbepartnerschaft zwischen einer Marke und einem Prominenten und wird sogar mit einem Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde bedacht. Nach Baetzgen würde das Haribo-Lied ebenso gut als Motto von Gottschalk funktionieren, der über Jahrzehnte jungem und älterem Publikum gleichermaßen gute Laune brachte – und noch immer bringt.

    Jedes Land nascht anders

    Lässt man die Bärchen mal außen vor, ist ein weiteres Erfolgsgeheimnis das große Produktsortiment: Colaflaschen, Pommes, Spiegeleier, Himbeeren, süßsaure Würmer – es gibt eigentlich nichts, was es nicht gibt. Und Haribo bedient dabei geschickt die nationalen Vorlieben: Briten greifen bevorzugt zur Fruchtgummimischung, Franzosen eher zu Schaumzuckerprodukten. Mit Sondereditionen zur Fußball-EM oder zum Hardrock-Festival Wacken werden zudem ständig neue Zielgruppen erschlossen. Das wirtschaftlich wichtigste Produkt des Unternehmens, das in dritter Generation familiengeführt ist und drei Milliarden Euro Jahresumsatz hat, bleibt aber das Gummibärchen. Das beliebteste ist übrigens das rote.