US-Wahl: Ingo Zamperoni befürchtet bei Trump-Niederlage das Schlimmste

29.10.2024 um 17:30 Uhr
    US-Wahl: Ingo Zamperoni befürchtet bei Trump-Niederlage das Schlimmste | © NDR
    Ingo Zamperoni vor dem Trump Tower in Chicago. | ©NDR

    Der Countdown läuft: Amerika wählt am 5. November ein neues Staatsoberhaupt. "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni (50) spricht bereits im Titel seiner neuen Dokumentation "Wirklich nochmal Trump, Amerika?" eine Möglichkeit an, die sich durchaus realisieren könnte. 

    Um herauszufinden, was die Bevölkerung der USA im Vorfeld der Wahl bewegt, ist der Journalist in die Staaten gereist und hat gemeinsam mit der Filmemacherin Birgit Wärnke ein Amerika porträtiert, das gespaltener wirkt als je zuvor. Das Team findet ein Land vor, das zwischen Politikverdrossenheit und Aufruhr pendelt, einen Wahlkampf voller Kalkül und Emotion erlebt und das Trump den gleichen Showdown bietet wie bei seiner ersten Kandidatur: ein Duell mit einer Frau. Allerdings könnten der Gendergap, Rassismus und Sexismus diesmal eine größere Rolle spielen als zuvor, erklärt Zamperoni im Interview.

    Die ARD zeigt die 60-minütige Doku, die im Auftrag des NDR und WDR entstanden ist, am Montag, 4. November, dem Vorabend der Wahl, um 20.15 Uhr, und bereits ab 29. Oktober in der Mediathek. 

    Trailer: Wirklich nochmal Trump, Amerika?

    Die Stimmung in den USA scheint unberechenbar zu sein. Wie nehmen Sie die Situation im Vorfeld der Wahl wahr?

    Ingo Zamperoni: Die politische Lage in den USA ist extrem angespannt und unvorhersehbar. Zwar war der Wahlausgang in der Vergangenheit oft nicht klar abzusehen, aber diesmal sind die Umfragen in den entscheidenden Swing States so knapp, dass es oft nur um einen Prozentpunkt Unterschied geht. Jede kurzfristige Entwicklung könnte den Ausgang der Wahl beeinflussen. Viele Amerikaner sind jedoch von der andauernden politischen Polarisierung erschöpft und desillusioniert. Während die Wahl für manche als Richtungsentscheidung von enormer Bedeutung empfunden wird, gibt es auch viele, die den ständigen politischen Schlagabtausch und das Spektakel rund um die Wahlen satt haben. Ich hatte bisweilen den Eindruck, dass wir in Deutschland fast mehr Interesse an dem Ausgang dieser Wahl haben als viele Amerikanerinnen und Amerikaner.

    Der Wahlkampf gestaltet sich nach deutscher Wahrnehmung nochmals extremer als in den Jahren zuvor. Entspricht das der Realität?

    Zamperoni: In den USA wird die politische Zugehörigkeit oft sehr sichtbar zur Schau gestellt, etwa durch Schilder in Vorgärten oder Aufkleber auf Autos. Auch diesmal gibt es wieder zahlreiche T-Shirts, bemalte Häuser und sogar Lastwagen im Trump-Design, doch ich hatte den Eindruck, dass es weniger auffällig ist als bei den Wahlen vor vier oder auch acht Jahren. Das mag daran liegen, dass viele Menschen mittlerweile diese gewisse Wahlkampfmüdigkeit verspüren. Viele Amerikaner sind aber auch stärker von der Politik in ihrem Bundesstaat betroffen als von den Entscheidungen in Washington.

    Wird der Einfluss des Präsidenten auf die Bevölkerung überschätzt?

    Zamperoni: Der Präsident der USA ist zweifellos eine zentrale Figur, aber seine Macht wird durch das System der Checks and Balances eingeschränkt. Er kann nicht einfach alles allein entscheiden. Er braucht den Kongress, um Gesetze zu verabschieden. In Deutschland schauen wir besonders auf die Außenpolitik des US-Präsidenten, da sie direkte Auswirkungen auf die Weltpolitik hat.

    Können das die Amerikaner nach nachvollziehen?

    Zamperoni: Als wir den ersten Dreh für die Doku hatten, haben sich die Leute gewundert: "Ihr seid vom deutschen Fernsehen, und ihr macht eine Reportage über die Wahl bei uns, die im November stattfindet? Jetzt ist doch erst März!" - Natürlich haben wir gespannt verfolgt, dass erst Trump gegen Biden antreten sollte und nun Harris. Der Wahlkampf in den USA hat im Vergleich zu unserem viel mehr Showelemente. Es gibt Auftritte von Popstars und Inszenierungen mit Musik. Und - das muss man Trump lassen - er bietet eine Show. Das ist auch einer der Gründe, warum das Rennen nach wie vor so knapp ist.

    Die entscheidende Frage ist: Ist Trump eine Gefahr für die Demokratie?

    Zamperoni: Ja, das ist die große Frage. Die demokratische Seite stellt es so dar, und es gibt gewisse Gründe, warum sie es so sehen. Zum Beispiel gibt es dieses "Project 2025" unter dem Dach der erz-konservativen Heritage Foundation. Trump distanziert sich zwar öffentlich von dieser republikanischen Ideen-Sammlung, aber ehemalige Trump-Vertraute haben daran mitgearbeitet. Und es schlägt Dinge vor, wie einen tiefgreifenden Umbau des Staatsapparats, bei dem zig-tausende Beamte durch loyale Gleichgesinnte ausgetauscht werden sollen. Das würde wohl eine immense Disruption darstellen. Ob das aber gleich das Ende der Demokratie in den USA bedeuten muss? Allerdings schwächen Trumps wiederholten Behauptungen, dass Wahlen gestohlen wurden oder durch Betrug verloren gehen könnten, das Vertrauen in den demokratischen Prozess. Dass diese Rhetorik bei einigen seiner Anhänger greift, stellt eine ernste Bedrohung dar. Man sollte aber nicht vergessen, dass in den USA der Kongress und die Bundesstaaten ein Gegengewicht bilden, das Machtmissbrauch verhindern kann.

    Sehen wir in Deutschland die Lage zu düster?

    Zamperoni: Ich glaube, die Töpfe der Farben, mit denen man diese Dystopien an die Wand malen könnte, sind groß und stehen alle mit geöffnetem Deckel da. Ob die Farbe dann wirklich an die Wand kommt, weiß ich nicht. Allerdings spricht die Tatsache, dass wir überhaupt darüber reden, schon Bände.

    Was passiert, wenn Trump verliert?

    Zamperoni: Ich glaube, dass es bei einer verlorenen Wahl der Republikaner durchaus zu Unruhen kommen könnte, vielleicht sogar zu gewalttätigen Ausschreitungen mit Verletzten oder sogar Toten. In einem so hochgerüsteten Land wie den USA ist das ein Szenario, das man nicht ignorieren kann.

    Auf Trumps erste Amtszeit folgten Tumulte, Attentate und Gerichtsverfahren. Wie hat sich der Mensch Trump dadurch verändert?

    Zamperoni: In seiner ersten Amtszeit hat vieles überrascht. Ich glaube nicht, dass er selbst damit gerechnet hatte, das Weiße Haus zu erobern. Es hat an erfahrenem Personal gefehlt, viele Posten waren monatelang unbesetzt, und es gab eine hohe Fluktuation unter seinen Mitarbeitern. Jetzt wäre Trump viel besser vorbereitet, sowohl strategisch als auch personell. Man kann erwarten, dass er seine Vorhaben diesmal schneller und zielgerichteter umsetzen würde. Zudem gibt es die Befürchtung, dass er einen gewissen Rachefeldzug gegen diejenigen führen könnte, die sich ihm in den letzten Jahren widersetzt haben.

    Die Alternative heißt Kamala Harris. Ist Amerika bereit für eine Frau an der Spitze?

    Zamperoni: Natürlich wäre es längst an der Zeit, dass auch in den USA eine Frau die Führung übernimmt. Das Kuriose ist, dass auch diesmal eine Frau gegen Trump antritt. Hillary Clinton hatte vor acht Jahren keinen Erfolg; Harris hat zusätzliche Herausforderungen, weil sie die erste nicht-weiße Frau im Rennen um das Amt ist. Obwohl viele Menschen bekunden, dass sie für eine Frau stimmen würden, könnte es in der Anonymität der Wahlkabine anders kommen. Harris scheint zudem bei bestimmten Wählergruppen, wie schwarzen Männern oder Latinos, Schwierigkeiten zu haben, Unterstützung zu gewinnen. Dagegen hat Trump wiederum Probleme, weibliche Wähler für sich zu gewinnen. Die Geschlechterfrage, Rassismus und Sexismus spielen also eine größere Rolle als bei früheren Wahlen.

    Kann man davon ausgehen, dass die Wahl in Amerika frei und fair abläuft?

    Zamperoni: Grundsätzlich ja, auch wenn es in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen über das Wahlsystem und seine historisch gewachsenen Eigenheiten gab. Es ist schließlich möglich gewesen, dass Clinton damals verloren hat, obwohl sie insgesamt rund drei Millionen Stimmen mehr hatte als Trump. Allerdings könnten die Medien eine große Rolle spielen, da sie polarisierter sind als bei uns.

    Auch X stärkt Trump den Rücken ...

    Zamperoni: Social Media, Fake News und Künstliche Intelligenz haben bedeutenden Einfluss auf die Wähler. Truth Social, Trumps eigene Plattform, spielt ebenfalls eine Rolle. Wenn Elon Musk sein Netzwerk und sein Kapital in die politische Waagschale wirft, kann das viel bewirken. Taylor Swift hat sich dagegen für Kamala Harris ausgesprochen, und das ist vielleicht ja auch ein Faktor. Der Wahlkampf in den USA ist bekannt für hohe finanzielle Investitionen, insbesondere in den Swing States, in denen die Wähler ununterbrochen mit Wahlwerbung konfrontiert werden, während in Staaten wie North Dakota, die politisch klarer positioniert sind, der Wahlkampf kaum spürbar ist. Hier gibt man nur wenig Geld dafür aus.

    Welche Bedeutung hat Joe Bidens jüngste Visite in Deutschland für den US-Wahlkampf?

    Zamperoni: Bidens Besuch in Deutschland ist weniger Teil einer Wahlkampfstrategie, sondern vielmehr Ausdruck seiner Überzeugung. Als einer der letzten Verfechter einer engen transatlantischen Zusammenarbeit nutzt Biden die verbleibende Zeit seiner Amtsperiode, um wichtige internationale Beziehungen zu pflegen. Gleichzeitig könnte sein Besuch ein Signal an die amerikanischen Wählerschaft senden, dass Multilateralismus und internationale Partnerschaften auch im Interesse der USA liegen. Langfristig wird sich der Fokus der US-Außenpolitik, unabhängig vom Wahlausgang, verstärkt auf Asien und insbesondere China richten. Auch werden die USA eine deutlichere Positionierung Deutschlands als Verbündeten einfordern, gerade gegenüber China.

    Kann man Bidens Rückzug uneingeschränkt als Glücksfall für die Demokraten bezeichnen?

    Zamperoni: Wäre er im Rennen geblieben, wäre die Wahl für die Demokraten verloren gewesen, denn man hätte sich wohl nur noch auf seine physische und mentale Fitness konzentriert. Trump hat ein Attentat überlebt, das ließ ihn nahezu unverwundbar erschienen. Im Gegensatz zu Biden vermittelt er den Eindruck von Stärke, einer Eigenschaft, die den Amerikanern besonders wichtig ist. Bidens Verzicht hat den Demokraten neues Momentum gegeben und vergrößert ihre Chancen, zu gewinnen. Ob diese Euphorie bis zum Wahltag bestehen bleibt und ausreicht, um Trump zu besiegen, wird sich zeigen.

    Ingo Zamperoni und seine Frau Jiffer Bourguignon diskutieren auch in diesem Jahr wieder mit ihrem Vater Paul über die anstehende Präsidentschaftswahl. Der Streit ist programmiert. Jiffer unterstützt die Demokraten, Paul wird wieder Trump wählen.

    Sie berichten gemeinsam mit Ihrer Frau Jiffer, die US-Amerikanerin ist, in einem Podcast über die politische Lage. Führt das im Alltag manchmal zu Anfeindungen?

    Zamperoni: Nein, das nicht. Wenn man den Sturm aufs Capitol als Grundlage sieht, ist natürlich ein gewisses Gewaltpotenzial vorhanden. Aber gleichzeitig sind die meisten Republikaner, die ich kenne, liebenswürdige und friedfertige Menschen, wie mein Schwiegervater etwa. Politische Gespräche führen jedoch oft zu Spannungen, selbst innerhalb von Familien. In vielen Fällen wird Politik daher ganz vermieden. Das beschreiben wir auch in der Doku.

    Können Sie ein Beispiel nennen?

    Zamperoni: Mein Schwiegervater hält Trump für einen Egomanen und findet ihn furchtbar. Er sagt: "Der soll mal die Klappe halten, nicht so rumpoltern, lieber seinen Job machen und nicht immer so nachtragend sein." Aber mein Schwiegervater wählt die Republikaner, weil er glaubt, dass sie die Steuern senken und für Sicherheit an der Grenze sorgen. Meine Frau streitet sich mit ihm darüber, aber anders als so manche andere Familien, entzweien sie sich zum Glück deshalb nicht. Er hätte auch lieber einen anderen Kandidaten, aber Trump hat sich in bei der Vorwahl nun einmal durchgesetzt.

    Was erwarten Sie von der Wahl?

    Zamperoni: Das Wahlergebnis ist schwer vorherzusagen, da beide Szenarien - ein Sieg Trumps oder Harris' - möglich sind. Gut möglich auch, dass es keine eindeutige Entscheidung am Wahlabend geben wird, da die USA aufgrund der verschiedenen Zeitzonen länger für die Auszählung brauchen. Es ist auch wahrscheinlich, dass Juristen bereitstehen, um rechtliche Schritte einzuleiten, sollte es Unregelmäßigkeiten geben. Die USA stehen vor einem engen und möglicherweise langwierigen Wahlausgang. Auf jeden Fall sollten wir weder überrascht noch empört sein, falls Trump gewinnt.

    Trump ist in Deutschland für viele zu einem Feindbild geworden ...

    Zamperoni: Er bietet er eine große Angriffsfläche, da er oft populistische und polarisierende Positionen vertritt. In seiner Art, auf kurzfristige Gewinne und Deals zu setzen, ignoriert er häufig die Vorteile, die multilaterale Zusammenarbeit langfristig bietet. Das schafft Unsicherheit. Trotzdem sollte man Trump nicht pauschal oder aus Prinzip ablehnen. In einigen Punkten, wie dem zwei Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben, hatte er durchaus recht. Wir hätten uns da mehr auf die Vorhaben konzentrieren sollen, die wir uns selbst gesetzt haben. Es gibt also Gründe, warum Trump wiedergewählt werden könnte. Dafür müssen wir kein Verständnis haben, aber wir müssen verstehen, wie das zustande kommt. Auch unter einer Kamala Harris wird es keinen Kuschelkurs geben, denn auch für sie gilt "America first".

    Glauben Sie, dass es auch in Deutschland Menschen gibt, die Trump gerne wieder an der Spitze sehen würden?

    Zamperoni: Ja, auch wenn die klar in der Minderheit sind. Der letzte Deutschland-Trend hat gezeigt, dass 78 Prozent der Befragten bei einer Wahl für Kamala Harris stimmen würden, nur acht Prozent sind von Trump überzeugt. Aber er führt Themen an, die auch bei uns viele bewegen. So könnten zum Beispiel seine Ansichten über Einwanderung, nationale Sicherheit oder den Krieg in der Ukraine selbst jene Menschen dazu bringen, für ihn zu stimmen, die ihn sonst kritisch sehen.

    Ist Deutschland schon ähnlich gespalten wie die USA?

    Zamperoni: Wie in jeder freiheitlichen Demokratie gibt es auch in Deutschland gesellschaftliche Spaltungen, die jedoch anders gelagert sind als in den USA oder in anderen Ländern. Aber die Themen, die die Menschen bewegen, sind ähnlich. Auch bei uns in Europa gab es in jüngster Vergangenheit teils extreme Wahlergebnisse. Wir in Deutschland hatten bislang so eine Art Sonderstellung eingenommen, die wohl auch aufgrund unserer Geschichte entstanden ist, aber vielleicht auch weil hier eine starke und differenzierte Medienlandschaft existiert und wir die Dinge etwas nüchterner betrachten. Trump würde bei uns kaum Bundeskanzler werden, umgekehrt hätten weder Angela Merkel noch Olaf Scholz mit ihrer besonnenen Art wohl eine Chance auf das Weiße Haus. Interview: teleschau