Vor zehn Jahren fiel die erste Klappe des "Zürich-Krimis". Schauspieler Christian Kohlund (74), bekannt seit den Tagen der "Schwarzwaldklinik", schaut mit dem Jubiläums-Zweiteiler "Der Zürich-Krimi: Bochert und die Stadt in Angst" zurück auf Lebensträume und spricht über die Problematik, wenn Künstler über Politik reden.
Nicht jeder Schauspieler hat das Privileg, mit Mitte 70 in einem Krimi die Hauptrolle zu spielen, der seit Jahren ein wachsendes Millionenpublikum lockt - in die Philip Marlowe-hafte Welt eines alten Zweiflers und humanistischen Gerechtigkeitskämpfers. Vor zehn Jahren fiel die erste Klappe eines "Zürich-Krimis". Mit dem 20. Fall "Der Zürich-Krimi: Bochert und die Stadt in Angst" (Donnerstag, 5. Dezember, 20.15 Uhr, Das Erste) feiert Christian Kohlund nun Jubiläum. Im Interview erzählt der 74-jährige Schauspieler, mit welchen Gegenmaßnahmen er seinen "Lebensblues" bekämpft. Den hat er, seit es feststeht, dass die Utopien einer besseren Gesellschaft aus seiner Jugend längst gescheitert sind.
20 Borchert-Filme haben sie seit 2016 gemacht. Wie blicken Sie auf die Zeit zurück?
Christian Kohlund: Es sind 20 Filme, aber eigentlich auch zehn Jahre. Den ersten Film haben wir bereits 2014 gedreht. Der zweite von 2016 war inhaltlich aber so eng mit dem ersten verbunden, dass wir diesen liegen ließen und zwei Jahre warteten, um die Filme zusammen zu ausstrahlen zu können. Entscheidend für die Borchert-Reihe war, dass Roland Suso Richter meistens die Regie ab dem dritten Teil übernommen hat. Er prägte die Reihe mit seiner Bildsprache und hat das Format auf die richtige Schiene gesetzt. Auch in Sachen Erfolg. Die Quoten sind weiter gestiegen, die Resonanz sehr positiv.
Es klingt vielleicht blöd, aber ist es für Sie nicht normal, von vielen Millionen Menschen geschaut zu werden? Schließlich verbindet man Ihren Namen mit TV-Blockbustern wie "Die Schwarzwaldklinik" oder "Das Traumhotel" ...
Kohlund: Erfolg ist nie selbstverständlich, und er war es auch nie für mich. Ich bin ja eher ein Zweifler. Aber auch dankbar für das, was ich geschenkt bekomme. Vor allem jetzt noch mal, im höheren Alter. Ich weiß, dass ich meine jüngeren Erfolge dem älter gewordenen Publikum in Deutschland verdanke. Dieses Publikum ist bekanntlich recht groß.
Wie viel hat Borchert mit Ihnen zu tun?
Kohlund: Viel. Er ist ein von der Gerechtigkeit besessener alter Mann, der noch mal zurück möchte zum Idealismus, den er mal hatte. Mit dieser Idee kann ich persönlich eine Menge anfangen. Dazu kommt unser "Zürich-Krimi"-Team, das nach zehn Jahren wie eine zweite Familie geworden ist. Auch mit meiner Partnerin Ina Paule Klink bin ich längst gut befreundet. Wir gehen jetzt sogar zusammen auf Tournee.
Der "Zürich-Krimi" unterscheidet sich von anderen Krimi-Formaten dadurch, dass man dem Helden die Schwermut eines älteren Mannes zugesteht, der weiß, dass für ihn vieles nicht mehr erreichbar ist. Eine Identifikationsfigur für viele?
Kohlund: Ich weiß nicht, ob sich viele damit identifizieren können, aber grundsätzlich haben Sie Borchert richtig beschrieben. Er hat eine private Tragödie erlitten, sich moralisch korrumpieren lassen, und wir lernen ihn kennen, als er den Weg zurück zu Ehrlichkeit und Menschlichkeit sucht. Doch egal, wie erfolgreich er auf diesem Weg ist: Die Wunden bleiben natürlich. In meinem Alter hat man so viel erlebt, dass weder die Weste ganz weiß ist, noch der Optimismus grenzenlos. Es gibt keine älteren reflektierten Menschen, die ohne Brüche sind.
Hat eine Philip Marlowe-Figur wie Borchert im deutschen Krimi gefehlt?
Kohlund: Vielleicht. Ich war immer ein Fan von Film Noir und Detektiven wie Philip Marlowe, der vor allem mit der Darstellung durch Humphrey Bogart assoziiert wird. Auch die französischen Gangsterfilme von Jean-Pierre Melville mit Lino Ventura oder Alain Delon fand ich toll. Deren Helden sind ebenfalls große Zweifler, die viel Traurigkeit zwischen den Zeilen des Lebens durchblicken lassen. Damit konnte ich etwas anfangen. Dieses Zweifelnde, Agnostische führt bei Leuten wie Marlowe, Borchert oder auch mir dazu, dass wir zu recherchieren beginnen. Weil wir nichts als gesichert annehmen. Das ist nicht die schlechteste Lebenseinstellung für einen Detektiv.
Fans von Wahrheit und Gerechtigkeit haben es derzeit nicht leicht auf der Welt. Ist es leichter, in Zeiten wie diesen zu leben, wenn man älter ist und schon viel erlebt hat?
Kohlund: Nein, überhaupt nicht. Eher im Gegenteil. Ich blicke mit großer Trauer und Entsetzen auf den gegenwärtigen Zustand der Welt. Gerade weil ich schon andere, bessere Zeiten erlebt habe, in denen der Aufbruch in eine positive Zukunft möglich schien. Vielleicht war ich naiv, aber ich hätte vieles, von dem, was heute Realität ist, für nicht mehr möglich gehalten. Vor allem einen Krieg mitten in Europa. Oder dass wir wieder so fremdenfeindlich geworden sind, gleichzeitig aber in Deutschland ganz viel versäumt haben, weil wie dachten, wir hätten ein Grundrecht auf Wohlstand.
Sind Sie ein politischer Mensch?
Kohlund: Ja, schon. Aber natürlich vor allem Künstler. Ich finde, wenn Künstler über Politik reden - sei es in Talkshows oder anderen Formaten -, geht das meistens schief. Weil wir viel zu emotional an die Materie herangehen. Emotionen sind unser Antrieb. Politik hingegen sollte man mit kühlem Kopf betreiben, was aber derzeit auch eher nicht der Fall ist. Zumindest befinden sich in den Köpfen der Macher nicht die richtigen, humanistischen Werte.
Was können Schauspieler tun, wenn sie politisch etwas bewirken wollen?
Kohlund: Ich kann nur für mich sprechen. Es gibt nicht das Handbuch des politischen Schauspielers. Ich versuche, meine Themen in meine Arbeit zu integrieren. Ich mache das zum Beispiel mit "Lebensblues", einem Programm, das eine Mischung aus Lesung und Musik ist. Es ist das angesprochene Programm mit Ina Paule Klink: Sie singt ihre Lieder, ich lese meine Texte. Ein toller Gitarrist unterstützt uns. Ich lese eigene Texte, aber auch so etwas wie "Die Welt der Sicherheit" von Stefan Zweig. Worte, bei denen man das Gefühl hat, sie wurden gestern für heute geschrieben. Dabei erschien der Text 1942.
Sie erlebten als junger Schauspieler die Zeiten des gesellschaftlichen Aufbruchs in den späten 60-ern und 70-ern. Fühlt sich die Welt gescheitert an, wenn man Jahrzehnte später feststellt: Das mit der Verbesserung der Welt hat überhaupt nicht geklappt?
Kohlund: Ja, das sehen Sie schon ganz richtig. Es ist schwer, im Alter feststellen zu müssen, dass viele Utopien, die wir als junge Menschen hatten, gescheitert sind. Ich mache ja noch ein anderes Programm, das heißt "Weihnachtsblues" - da lese ich ebenfalls Texte, die beispielsweise von Bert Brecht in Chicago 1910 geschrieben wurden. Darin heißt es sinngemäß: Das Problem aller Probleme sei die Armut der Massen. Wenn man seine Ausführungen liest, merkt man, dass sie heute wieder topaktuell sind.