Für eine neue Doku reiste ARD-Wetterexperte Sven Plöger nach Grönland – auf der Spur des Klimawandels. Der Schmelzprozess in der Arktis beschleunigt sich rasant und sorgt für den Anstieg des Meeresspiegels. Dadurch erhöht auch an unseren Küsten die Gefahr von Sturmfluten.
Ein Artikel von HÖRZU Redakteur Kai Riedemann
Auf den ersten Blick scheint das „ewige Eis“ noch immer ewig: Meteorologe Sven Plöger steht mitten auf dem Hochplateau des grönländischen Eisschilds, umkreist von einer Kameradrohne. So weit das Auge reicht nur gleißendes Weiß – stellenweise 3000 Meter dick! „Ich war überwältigt von dieser unfassbaren Größe. Kaum vorstellbar, dass wir all dieses Eis zum Schmelzen bringen können“, staunt er. Doch wir können. Selbst in dieser extremen Kälteregion lassen sich die Folgen der Erderwärmung nicht mehr übersehen. Für seine neue Reportage war Sven Plöger im hohen Norden unterwegs, begleitete Forschungsteams zu entlegenen Messstationen, paddelte im Kajak um treibende Eisberge (Mo, 3. Februar, 20.15 Uhr im Ersten).
Dabei ging es ihm nicht nur um das Schmelzen der Arktis, sondern auch um die Folgen für unser Wetter in Deutschland. Warmes aus der Wetterküche „Als riesige Eisfläche steuert die Arktis massiv Temperaturen und prägt unsere Meeres und Luftströmungen. Sie ist quasi eine unserer Wetterküchen“, erklärt der Diplom-Meteorologe und TV-Moderator. In der Arktis entscheidet sich, ob sich die Wetterextreme, die wir erleben, immer weiter verstärken.“ Schon jetzt leidet Mitteleuropa unter heftigen Stürmen, Flutkatastrophen und Dürren. Aber was hat das mit schmelzenden Gletschern zu tun? Zusammen mit der grönländischen Biologin Josephine Nymand besuchte Plöger einen einzigartigen Beobachtungsposten der Klimaforschung. Im Kobbefjord misst ein Wissenschaftsteam seit fast 30 Jahren die Entwicklung der Temperaturen, des Winds und der Niederschläge.
Das Ergebnis ist eindeutig: Nicht nur die Erwärmung und damit die Eisschmelze beschleunigt sich, auch die Wetterextreme auf der Insel nehmen zu. Wenn es regnet, dann gleich in Massen. Auch Dürren werden häufiger. Grönland, die mit 2.166.086 Quadratkilometern größte Insel der Welt, ist zu mehr als 80 Prozent von Eis bedeckt. Der weiße Panzer wirft den Großteil der Sonnenstrahlung ins All zurück. „Er wirkt wie ein Spiegel“, so Sven Plöger. „Letztendlich ist er ein großer Thermostat für diesen Planeten Erde.“ Wie ein Hitzeschutzschild! Doch je mehr Eis schmilzt, desto rasanter erwärmt sich die Arktis, denn dunkler Boden strahlt viel weniger Wärme zurück. Dadurch steigen die Temperaturen nördlich des Polarkreises etwa dreimal schneller als im weltweiten Durchschnitt.
„Der Eispanzer Grönlands ist riesig“, betont Plöger. „Er bindet mehr Wasser als Nord und Ostsee und 25.000mal mehr als alle Gletscher der Alpen zusammen.“ An seinen Rändern verliert er 30 Millionen Tonnen Eis – pro Stunde! Schmelzwasser trägt erheblich zum Anstieg des Meeresspiegels bei und erhöht auch an unseren Küsten die Gefahr von Sturmfluten.
Deutlich komplexer wirkt sich die Erwärmung auf die weltweiten Luftströmungen aus. Die Systeme in der Atmosphäre sind stets um Ausgleich bemüht. „Durch die Temperaturunterschiede zwischen Arktis und Äquator entsteht deshalb ein Windband, der polare Jetstream“, erläutert Meteorologe Plöger. „Mit bis zu 500 km/h umströmt er in rund zehn Kilometern Höhe den Globus und prägt unser Wetter.“ Hoch und Tiefdruckgebiete ziehen mit ihm in Wellen voran. Wenn sich jetzt die Arktis stärker erwärmt als südlichere Breiten, nehmen die Temperaturunterschiede ab. Und wenn die Natur weniger Unterschiede ausgleichen muss, werden die Winde schwächer. Der Jetstream verliert an Kraft. Das verlangsamt unsere Hochs und Tiefs, und es entsteht eine Art „Standwetter“.
Im Sommer etwa bedeutet eine wochenlange Hochdrucklage Dürre und Hitze, aber auch das Tief kann lange bleiben. Schwere Gewitter und sintflutartige Niederschläge sind die Folge. „Wichtig“, so Plöger, „die Veränderung des Jetstream ist ein plausibler Mechanismus, der weiter wissenschaftlich zu prüfen ist. Außerdem spielen natürlich auch andere Faktoren eine Rolle.“
Jetzt strömt vermehrt Schmelzwasser aus Grönland in den Atlantik, durch dieses Süßwasser sinkt dort der Salzgehalt. Das Umwälzsystem gerät ins Stocken. „Der Nordatlantikstrom ist so schwach wie seit 1600 Jahren nicht mehr“, sagt der Wetterexperte. „Eine weitere Abschwächung ist möglich. Das könnte bei uns vor allem im Winter vermehrt zu Kältewellen aus dem Norden führen. Im Sommer dagegen droht öfter heiße Luft aus dem Süden.“ Die jetzt schon stark spürbare Änderung der Wetterabläufe bei uns würde immer extremere Formen annehmen. Und das alles, weil im hohen Norden die Arktis schmilzt.
Wie wahrscheinlich sind solche dramatischen Entwicklungen? „Es ist unheimlich schwer zu sagen, was am Ende bei so einem starken Veränderungsprozess passiert“, gibt Sven Plöger zu. „Nichts an dem komplexen Klimasystem ist monokausal.“ Es gibt viele Hebel, Ursachen und Wechselwirkungen. „Aber das Grundprinzip, was auf unserer Welt in Zeiten des Klimawandels passiert, das haben wir sehr gut verstanden“, betont der Diplom-Meteorologe.
„Wir verändern durch unser Verhalten ganz massiv das Klima und sind mittlerweile Opfer unserer eigenen Taten – eine Doppelrolle. Um das zu ändern, müssten wir sofort und intensiv handeln. Deshalb ist es so wichtig, immer wieder auf unsere Chancen und Möglichkeiten hinzuweisen, um ‚Lust auf Veränderung‘ zu machen. Das schulden wir allein schon den nachfolgenden Generationen.“