„Udo Jürgens forever“: Warum war ausgerechnet er so erfolgreich?

23.12.2024 um 16:30 Uhr
    Michelle Hunziker und Sasha führen durch die Show „Udo Jürgens Forever“. | © ARD
    Michelle Hunziker und Sasha führen durch die Show „Udo Jürgens Forever“. | ©ARD

    Verbeugung vor einer Legende: Das Erste feiert den 90. Geburtstag von Udo Jürgens mit einer Doku und einer Gala in Starbesetzung. Dabei sind unter anderem Howard Carpendale, Wencke Myhre, Götz Alsmann, Vanessa Mai und Adel Tawil, die einige seiner besten Songs interpretieren. Sie alle treten gemeinsam mit dem Pepe Lienhard Orchester auf, das Udo seit 1977 immer auf seinen Tourneen begleitet. HÖRZU war bei der Aufzeichnung in München vor Ort und sprach mit Jenny und John Jürgens über den unglaublichen Erfolg ihres Vaters.

    Ein Artikel von HÖRZU Reporter Sven Sakowitz

    Sein Tod kam für alle völlig unerwartet: Vor zehn Jahren, am 21. Dezember 2014, brach Udo Jürgens während eines Spaziergangs im schweizerischen Gottlieben zusammen und starb kurz danach im Krankenhaus an Herzversagen. Ein gewaltiger Verlust – aber seine Musik lebt weiter. Jetzt ehren ARD, ORF und SRF den Sänger und Komponisten anlässlich seines 90. Geburtstags mit einem großen TV-Abend. Eröffnet wird dieser mit der Gala „Udo Jürgens forever“ (23. Dezember, 20.15 Uhr im Ersten). Direkt im Anschluss (22.30 Uhr) läuft eine neue Dokumentation über den Menschen und Musiker Udo Jürgens. Die Filmemacher David Kunac und Sebastian Dehnhardt beleuchten das Phänomen Jürgens dabei von allen Seiten – jenseits der euphorischverklärenden Verehrung – und versuchen so, den Mann und sein Werk in allen Facetten zu erfassen.

    Zu den Interviewpartnern, mit denen sie über Jürgens gesprochen haben, gehören auch dessen Kinder John (60) und Jenny Jürgens (57). HÖRZU traf die beiden bei der Aufzeichnung der TV-Gala im seit Wochen ausverkauften Circus Krone in München. Sie kümmern sich um das künstlerische Erbe ihres Vaters, steuerten zur TVDoku bislang unveröffentlichtes Material bei. „Ich habe in Kisten meines Vaters kürzlich eine Plastiktüte gefunden, in der sich uralte Filmrollen befanden“, erzählt John Jürgens im Gespräch mit HÖRZU. „Wir haben uns einen Projektor besorgt, mit dem wir sie uns anschauen konnten. Manchmal war es zum Verzweifeln, wenn dort minutenlang öde Landschaftsaufnahmen zu sehen waren. Aber immer wieder haben wir auch ganz tolle Szenen entdeckt: Unsere Familie zu Ostern im Garten, der Papa in Asien, in Südafrika, in Brasilien. Das waren schöne Momente bei der Recherche.“

    Udo Jürgens 2012 bei einem Konzert in Dresden. Bei den letzten Zugaben seiner Konzerte trug er fast immer einen Bademantel. | ©Imago

     

    Dass ihr Vater viel unterwegs war, gehörte für John und Jenny während ihrer Kindheit zum Alltag. „Unser Vater war selten zu Hause“, sagt Jenny Jürgens. „Für uns als Kinder war das aber in Ordnung, weil wir es nicht anders kennengelernt haben. Und wenn er da war, hatten wir eine großartige Zeit zusammen. Er war zärtlich, zauberhaft, albern und lustig. Selbst wenn er gerade mal wieder an seinem Klavier komponiert hat, durften wir ihn immer stören.“

    Sein Erfolgsgeheimnis: Den Finger in Wunden gelegt

    Udo Jürgens schrieb Erfolge am Fließband, verkaufte mehr als 105 Millionen Tonträger, spielte Tourneen vor Hunderttausenden Besuchern. Warum war ausgerechnet er so erfolgreich? „In vielen seiner Lieder hat er auf intelligente Art den Finger in Wunden gelegt und das mit emotionalen Melodien kombiniert“, sagt Jenny Jürgens. „Man denke nur an den Hit ,Ein ehrenwertes Haus‘, in dem er über die Verlogenheit spießiger Nachbarn singt.“ Einen weiteren Grund für den Erfolg benennt ihr Bruder: „Man schaue sich einmal Aufnahmen seiner Konzerte an“, sagt John. „Wie er da saß, verschwitzt am Klavier, dabei eindringlich ins Publikum blickte und voll in seinem Element war. Dann sang er seine Texte nicht nur, sondern er meinte sie. Das haben die Menschen immer gespürt: Er war echt und lebte mit Haut und Haaren für seine Musik.“

    Und das von frühester Kindheit an. Aufgewachsen ist der 1934 Geborene im österreichischen Bundesland Kärnten auf dem Familiengut Schloss Ottmanach. Damals hört er noch auf den Geburtsnamen Udo Jürgen Bockelmann. Der kleine Udo ist ein schwächliches und oft krankes Kind mit auffällig abstehenden Ohren, das von seinen Altersgenossen gehänselt wird. Eine Zuflucht findet er in der Musik. Sein erstes Instrument ist eine Mundharmonika, es folgt ein Akkordeon, dann bringt er sich selbst das Klavierspielen bei. Als im Zweiten Weltkrieg die Bomber der Alliierten über seinen Wohnort fliegen, setzt er sich ans Klavier und ahmt deren dumpfes Grollen und Röhren nach.

    Früh entdeckt er den Jazz für sich, spielt die Stücke US-amerikanischer Größen wie Duke Ellington, George Gershwin und Count Basie. Seine Eltern fördern seine musikalische Begabung, aber seinen schon als Teenager geäußerten Wunsch, Berufsmusiker zu werden, lehnen sie ab. Doch Udo rebelliert, geht seinen Weg, bricht sogar 1951 kurz vor dem Abitur die Schule ab, um sich voll auf die Musik zu konzentrieren. Ein typischer UdoSatz aus dieser Zeit lautet: „Ich werde mit der Musik auf oder untergehen. Aber wenn ich untergehe, werde ich wenigste in irgendeiner Bar am Klavier sitzen.“

    Nach einer Tingeltour durch kleine Läden bekommt er 1956 zwar einen Plattenvertrag, aber die Plattenfirma legt fest, was er zu singen hat: weichgespülte Schnulzen. 1963 schmeißt ihn die Plattenfirma dann wegen Erfolglosigkeit raus. Ein Tiefpunkt. Aber wie heißt es doch in einem seiner Lieder: „Immer, immer wieder geht die Sonne auf / Denn Dunkelheit für immer gibt es nicht.“ Stimmt! Bald trifft er auf den Musikmanager Hans R. Beierlein, der erkennt, was in Udo steckt: kein xbeliebiger Schlagerbarde, sondern ein Chansonnier, so wie es ihn in Frankreich gibt, nur eben auf hiesige Verhältnisse übertragen. Gleich seine erste Single unter dem neuen Manager, „Tausend Träume“, verkauft sich gut. Doch dann geht die Sonne wieder unter: Zweimal hintereinander tritt Udo für Österreich beim Grand Prix Eurovision de la Chanson an, wird 1964 nur Sechster und 1965 Vierter.

    Der große Durchbruch mit „Merci Chérie“

    Ein drittes Mal will er nicht dabei sein, macht es aber doch – und gewinnt 1966 in Luxemburg mit der Ballade „Merci Chérie“. Es ist sein Durchbruch. Von diesem Moment an bleibt er immer an der Spitze. Dabei ruht er sich nie auf seinen Lorbeeren aus, sondern erweitert sein Spektrum, überrascht sein Publikum immer wieder. Etwa mit dem kritischen Lied „Lieb Vaterland“, in dem er 1971 die Ungleichheit und soziale Kälte der Gesellschaft anprangert und damit eine Debatte auslöst. Oder mit dem Hit „Griechischer Wein“, in dem er 1974 einfühlsam über das Heimweh und die Sehnsüchte der sogenannten Gastarbeiter singt.

    Das musikalische Erbe von Udo Jürgens wird nun auch im Rahmen der „Udo Jürgens Forever Show“ gewürdigt. | ©ARD

    Oder durch seine Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern, die ihn 1979 bei dem Acht-Minuten-Opus „Wort“ begleiten. Nur drei von vielen Beispielen für seine Vielfältigkeit. Fast schon kurios angesichts der Überzeugungskraft seiner Lieder: Udo komponiert sie zwar selbst, das Texten aber übernehmen andere. Gleichwohl ist es nicht so, dass er fremde Texte vorträgt: Er ist immer in das Schreiben der Texte eingebunden, liefert selbst Ideen für Themen, diskutiert mit seinen Stammautoren oft über jedes einzelne Wort.

    Udo Jürgens’ Traum wird wahr. Er ist während seiner ganzen Karriere stets enorm produktiv. Seine Musik wird geliebt und anerkannt, er selbst als aufgeschlossene, weltoffene, bescheidene, lebensfrohe Persönlichkeit von seinen Mitmenschen geschätzt. Aber all dies führt bei ihm nicht zu einem permanenten Glückszustand. Immer wieder muss er in seinem Leben durch seelisch schwierige Phasen. „Er war ein Zerrissener, ein Schlafloser, ein Mann mit Ängsten“, sagt Jenny Jürgens über diese Episoden. „Die Hänseleien aus der Kindheit und dem Krieg haben ihn traumatisiert. Der kleine kränkliche Junge von früher steckte immer noch in ihm. Er hatte viele Kämpfe mit sich auszutragen. Außerdem fühlte er sich einsam, obwohl er ständig von Menschen umgeben war. Alle wollten etwas von ihm, alles drehte sich um ihn. Er war der Fixstern, um den alles kreiste. Aber um wen kreiste er? Da war oft eine große Leere. Es gab nur einen Ort auf der Welt, an dem er wirklich glücklich war. Das war auf der Bühne am Klavier.“

    Wie hätte er wohl am 30. September seinen 90. gefeiert, wenn er noch unter uns weilen würde? „Je älter er wurde, desto weniger mochte er seine Geburtstage“, sagt John. „Zu wissen, dass immer weniger Zeit bleibt, hat ihm zugesetzt. Aber schon davor hat er am liebsten im kleinen Kreis gefeiert. Zu seinem 80. Geburtstag saßen wir mit insgesamt knapp 20 Gästen, nur Freunde und Familie, schön zusammen. In diesem Jahr wäre es sicher so ähnlich geworden.“

    John und Jenny Jürgens bei der Aufzeichnung der Gala. | ©Imago

    Das glaubt auch seine Schwester: „Ich denke, wir wären mit Freunden und Familie in die ,Kronenhalle‘ in Zürich gegangen. Ein klassisches, traditionsreiches Schweizer Restaurant, in dem wir mit ihm oft zu besonderen Anlässen gegessen haben. Das Zürcher Kalbsgeschnetzelte mit Rösti hatte es ihm besonders angetan.“ Dazu kam es leider nicht mehr. Aber am 23. Dezember feiern Millionen TV Zuschauer sein großes Werk. Ein Gedanke ist dabei ein bisschen tröstlich: „Sein plötzlicher Tod hat uns schwer getroffen“, sagt Jenny. „Aber für sich und seine Art von Leben hat er den denkbar besten Tod gehabt. Genau so einen Abschied von der Welt hat er sich immer gewünscht.“